Verleihung der Grammys: Die große Pop-Soap-Opera
In jedem Jahr verzücken die Grammys die Popwelt, doch schon lange geht es nicht mehr um die Musik. Das Erfolgsrezept stattdessen: Machtkämpfe, Beziehungskonflikte und Familienfehden.
Kein Mensch braucht die Grammys. Am Sonntag werden die "Musik-Oscars" trotzdem wieder verliehen - in über 100 Kategorien, die aus einer Zeit stammen, als noch viel Geld für Musik ausgegeben wurde. Michael Jackson wird als 3D-Projektion im Staples Center wiederauferstehen, wo er schon verabschiedet wurde. Und am Schluss versammeln sich die Stars zum Jubiläum der Gutmenschenhymne "We Are the World", diesmal für Haiti. Dazwischen ganz ausgefallene Duette und Countrystars, die in Europa niemand kennt.
Kritiker halten die Preisverleihung für eine maßlose Eierschaukelei der Industrie. Es geht also nicht um Musik. Aber um Verkaufszahlen wohl auch nicht mehr. Dafür wird nun der Blick auf das Wesentliche frei: die größte Seifenoper der Popkultur. Wer braucht da noch "Dallas" oder "Denver-Clan"? Bei den Grammys treffen sich die echten Schönen und Reichen zum Showdown vor glamouröser Kulisse. Sie haben sich rausgeputzt. Sie wollen gewinnen. Und handeln dabei Machtkämpfe, Beziehungskonflikte und Familienfehden aus.
Die Erzählmodelle aus großen Gesten und Mikrodiskursen beherrschen Hiphop-Machos und Souldiven besonders gut. Aretha Franklin verkörperte den Idealtypus der göttlichen Sängerin, Beyoncé Knowles hat sie beerbt. Madonna heißt jetzt Lady Gaga. Und der obligatorische Absturz der Diva vollzog sich letztes Jahr besonders heftig, als Chris Brown Rihanna auf der Fahrt zu den Grammys verprügelte.
Doch die Märtyrerin kehrt zurück. 1985 in Gestalt der emanzipierten Tina Turner. 2002 rappelte sich Mary J. Blige vor laufender Kamera auf. Selbst Britney Spears wurde im Kreis der Ihren rehabilitiert. Jennifer Lopez, Amy Winehouse und Katy Perry bleibt es, die Biester zu spielen. Und über allem thront das Königspaar Jay-Z und Beyoncé.
Jay-Z greift jedes Jahr ein Stück weit mehr nach der Alleinherrschaft, indem er sich mit den ganz Großen - und nichtschwarzen Sängern - auf eine Stufe stellt: Frank Sinatra, Paul McCartney, Bono. Auch sonst dominieren bei den Männern ödipale Muster. Jeder will der neue Michael Jackson sein, Usher auf den Fersen von James Brown, Kanye West kam gleich als Jesus.
Ein schönes Paradox dieser phallischen Überbietungslogik stellte das versöhnliche Duett von Eminem und Elton John dar. Abseits der Bühne disste Tupac Biggie - mit mörderischem Ausgang. Und Buju Banton, dieses Jahr für den Reggae-Grammy nominiert, sitzt im Knast wegen angeblicher Drogengeschäfte.
Einmal im Jahr erreicht der ganze Popkram so seinen Höhepunkt bei den Grammys. Und seit Twitter wissen wir sogar, was die Stars zu Mittag gegessen haben.
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