Verlegene Verleger und ratlose Buchhändler

■ Vom Niedergang der Leipziger Buchmesse / Goldmanns gute Gaben / Freude bei den Alternativen

Michael Hinze

Als am vergangenen Mittwochabend nach der wüsten Wahlkundgebung mit Bundeskanzler Kohl vor der Leipziger Oper die Anhänger der unheiligen „Allianz für Deutschland“ eine regelrechte Hetzjagd auf Andersdenkende und Anderssprechende veranstalteten - bei der es drei Verletzte und eine demolierte Studenten-Mensa gab - war endgültig klar, daß jene „Alliierten“ kaum zu denen gehört haben dürften, die ihre geringen geistigen Anlagen zu einem Besuch der parallel laufenden Leipziger Buchmesse verführt hätten. Von einer Visite der 1. Alternativen Buchmesse im Klubhaus „Heinrich Budde“ in Leipzig-Gohlis - wo sich Klein- und Kleinst -Verlage aus der DDR und der Bundesrepublik, aus West -Berlin, Österreich und der Schweiz fünf Tage lang mit Absichten und Büchern präsentiert hatten - ganz zu schweigen.

Kein Wunder, boten doch in der mit Zelten und Kiosken aller westdeutschen Lebensart vollgestopften Innenstadt diverse Brauereien genügend Gelegenheit, statt der von 900 Verlagen aus 21 Ländern dargebotenen geistigen Nahrung solche zu sich zu nehmen, von der es mittlerweile grenzüberschreitend heißt, sie allein forme einen „edlen Körper“. Und während im Buchmessehaus am Markt die Pforten schon um 18 Uhr geschlossen wurden, konnte die geistige Formung anderer Art von Einheimischen und Zugereisten noch bis weit nach Mitternacht fortgesetzt werden - bis der letzte Rest an Verstand versoffen war.

Daß just an diesem Tag auch noch Wolfgang Schnur von seinem „enttäuschten“ Parteifreund Rainer Eppelmann den Laufpaß bekam, betrübte zunächst und vor allem wohl nur das Hamburger Verlagshaus Gruner + Jahr, das den nunmehr untragbar gewordenen Parteichef mit auf die Rednerliste einer für Freitagabend im Gewandhaus angesetzten deutsch -deutschen Debatte zum Thema „Medienfreiheit“ gesetzt hatte, und nun den SPD(Ost)-Genossen Kamilli an die Stelle des so rabiat Geschaßten setzen mußte.

Bei solcherlei Turbulenzen mochte dann die diesjährige Leipziger Buchmesse, die wohl letzte ihrer bisherigen Art, kaum mithalten. Obwohl Schnurs mehrjähriges Versteckspiel im Auftrage seiner konspirativ noch immer aktiven früheren Brötchen-Geber durchaus eine Entsprechung auch auf dieser fand, wo sich das neubenannte „Brandenburgische Verlagshaus“ (Berlin/DDR) auch nur ungern an seine jahrzehntelange Tätigkeit als „Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik“ erinnern ließ.

Pikanterweise präsentierte, eingerahmt von den Militär -Verlegern und den Partei-Verlegern des Hauses Dietz, der im Zuge der

Biermann-Ausbürgerung ebenfalls ausgereiste DDR -Schriftsteller Erich Loest dort seinen Linden-Verlag Leipzig. Dessen Buchproduktion konzentriert sich natürlich zuerst auf die notwendigen, bislang fehlenden, DDR-Ausgaben seither entstandener Romane und Erzählungen von Loest, wird aber auch andere Autoren, darunter Günter Grass oder Rudolf Augstein, den 'Spiegel'-Herausgeber, zu Wort kommen lassen.

Wenngleich es also im Buchmessehaus, angesichts der davor konkurrierenden Bierverlage aus der Bundesrepublik, eher ruhiger als erwartet zuging, ballte sich doch mancherorts in den fünf Verlagsetagen das Publikum zusammen. Vor allem Goldmanns Taschenbücher hatten es den DDR-Buchhändlern angetan. Denn die gab es zum DDR-Preis von 1 000,- M (abzüglich dreißig Prozent Rabatt) für 100 Exemplare portofrei in Buchpaketen zu erwerben, die den heimischen Buchhandel endlich mit den vielfältigen Segnungen westlicher Trivial- und Ratgeber-Literatur versorgen. Und obwohl die hiesigen Volksbuchhändler noch nicht so recht wissen, wie es wirtschaftlich mit ihrem landesweiten Unternehmen weitergehen soll, orderten sie fleißig diese geistigen „Care„-Pakete, deren Inhalte schließlich erst neunzig Tage nach Lieferung zu bezahlen sind. Dafür teilte dann manch einer den verschiedenen DDR-Verlagen mit, man würde dort bestellte Bücher wieder zurückschicken, weil man die Regale nun für Anderes benötige als für „volkseigenes Bildungsgut“.

Darüber waren diese ebenso ärgerlich wie manche der großen westdeutschen Verlagshäuser (unter anderem Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch, dtv, DVA), die solche Dumping -Geschäfte mit der Ware Buch nachdrücklich verurteilten. Doch nutzten die moralischen Appelle wenig, zumal dies Goldmann, passenderweise im Cafe „Mephisto“, den DDR -Buchhändlern aller Eigentumsformen mit Sekt und Wein bis zum Abwinken schmackhaft machte. Da vermochten auch die Freitische von Rowohlt (im Pressezentrum) oder S. Fischer (im Journalistenklub) nur wenig.

Wenn der einheimische Buchhändler dann noch bemerkte, daß der Bertelsmann-Lesering sich in der DDR künftig des bisherigen Pressechefs von weiland Buchminister Klaus Höpcke als Repräsentant versichert hat, und daß einer der einst leitenden Mitarbeiter des DDR-Volksbuchhandels, Wolf -Diethelm Zastrutzki, nunmehr dem westdeutschen „Ramsch„ -Unternehmen Pawlak in Sachen Buchvertrieb mit Rat und Tat zur Hand geht, schwand wohl der letzte Rest an Widerstand gegen die westliche Form der Vermarktung von Literatur.

Selbst den DDR-Verlegern verschlug es angesichts dessen zuweilen die geübte Sprache, waren sie doch ohnehin auf dieser Messe aus gegebenem Anlaß mehr damit beschäftigt, Auskünfte zum Fortbestand ihrer Verlagshäuser zu geben. Und damit ist es - bei wem auch immer - nicht sonderlich rosig bestellt. Manchmal überwanden die heftigen Debatten hierüber, eigentlich ausstellerintern geführt, sogar den allgemeinen Geräuschpegel im Messehaus und schwappten über die Kojenwände, so daß auch die Besucher daran teilhaben konnten.

Der Leipziger Börsenverein der DDR-Buchbranche, sonst buchmesseweit agiler Vertreter der verschiedenen Interessengruppen, verzichtete gar auf seine traditionelle Pressekonferenz und arbeitete mehr im Verborgenen. Ein von ihm vorgelegtes Fairneß-Papier über die künftigen Konditionen des Umgangs zwischen DDR- und BRD-Buchverlagen geriet da eher zum untauglichen Versuch, verlorenes oder aufgegebenes Terrain wiederzuerlangen - und wurde denn auch von den Vertretern des Börsenvereins der Buchhändler zu Frankfurt am Main mitleidig zur Seite gelegt.

Selbst ausländische Verleger, darunter insbesondere jene aus der UdSSR, vermochten kaum zu begreifen, daß ihr langjähriger Partner DDR mittlerweile so arge Wandlungen durchmacht, daß frühere Regelungen nicht nur außer Kraft gesetzt wurden, sondern überhaupt keine Chance auf Erneuerung haben.

Ungeachtet aller Betrübnisse an den Ausstellungsständen der meisten DDR-Verlage, gab das Leipziger Messeamt unverdrossen den Termin der nächsten Buchmesse bekannt: 24. bis 29. April 1991. Wenngleich die Vorstellungen über Art und Umfang derselben derzeit noch ungeklärt sind.

Soweit mochten die Veranstalter der 1. Alternativen Buchmesse Leipzig nicht vorausplanen, obwohl ihre Chancen durchaus gut sind. Schließlich hatten überraschend viele Besucher, darunter viele Kinder, die auf der offiziellen Bücherschau bis zum Alter von 14 Jahren selbst „in Begleitung Erwachsener“ keinen Zutritt haben, den Weg nach Gohlis genommen, um zu sehen, was denn an den neuen Verlagen dran sei. So entwickelte sich, was von einer Handvoll Leipziger Liedermacher und Dichter vor noch nicht einmal zwei Monaten ideell ins Werk gesetzt worden war, unter der Hand und ziemlich schnell zu einem wahren Buch-Fest.

Niemand, der sich beworben hatte, egal, ob er Bücher oder nur erst einmal verlegerische Ideen auszustellen hatte, war abgewiesen oder ausgeladen worden. Das Bild war entsprechend bunt. Auf kleinstem Raum, oder besser in al

len Räumen der einst Louis Trenker gehörenden Jugendstilvilla, fanden sich ohne gegenseitige Vorbehalte die unterschiedlichsten Projekte und Meinungen zusammen. Das einstmals von DDR-Oberen verpönte und massiv verfolgte „feindliche Gedankengut“ feierte fröhliche Gemeinschaft. Reisebücher konkurrierten mit Hare Krishna-Texten. Öko -Bücher mit Religionsliteratur, Frauen- und Männer-Bücher lagen gemeinsam aus, Kunst-Bücher hielten dem Vergleich mit Produktionen der unterschiedlichsten Wissenschaftspublikationen stand.

Während der Forum Verlag Leipzig stolz Restexemplare der 30 000er Startauflage seines Revolutions-Buches „Jetzt oder nie - Demokratie“ anbot, deren Nachauflage bald in den Handel kommen soll, präsentierte der neugegründete Octopus-Verlag unter anderem drei wunderschön gemachte Bücher in einer jeweiligen einmaligen Auflage von drei stück. LinksDruck Berlin, seinerseits auch im Buchmessehaus vertreten, erzählte von den ab Sommer zu erwartenden ersten sieben Titeln des auf die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts spezialisierten Verlages.

Und wem pure Auskünfte zu Absichten und Vorhaben nicht ausreichten, der hatte an jedem der fünf alternativen Buchmesse-Tage auch Gelegenheit, einige der von den insgesamt 70 Verlagen präsenten AutorInnen in Veranstaltungen zu erleben. So sprach Jürgen Sprick über die „Suche nach Wahrheit“ des westdeutschen Verlages Gralsbotschaft, die einheimische Edition Augenweide hatte Hans-Ulrich Prautzsch und Jürgen Kowalski zu Lesungen eingeladen, Winfried Völlger, Wilhelm Bartsch und Manfred Jendryschik waren zu Gast.

Was einstmals als Randereignis in einer geräumigen Wohnung geplant war, geriet so zu einer echten Konkurrenz für die „konservativen“ Verleger. Und die Veranstalter, allen voran Dieter Kalka, Benjamin Weinkauf und Rosemarie Heinze, waren es zufrieden. Katharina Luft, gute „Seele“ vom alternativen Messetrubel war dann am Ende ganz betrübt darüber, daß diese „Großfamilie“ auf Zeit wieder auseinanderging. Allerdings, so war auf einer Abschlußpressekonferenz zu hören, ist man schon dabei zu überlegen, wie das so erfolgreich Begonnene fortgesetzt werden könnte. Und zwar selbst dann, wenn der Internationalen Leipziger Buchmesse die Puste bis dahin ausgehen sollte.