Verkehrswende in Berlins Bezirken: Warten im Block
In Neukölln wird die Verkehrswende zu Geduldprobe: Der von Anwohnenden seit Langem geforderte Kiezblock Rixdorf kommt und kommt nicht. Aber warum?
Was Edele und ihre MitstreiterInnen so aufbringt: Vor gut zweieinhalb Jahren hatte die Initiative – die heute unter dem Dach der vom Verein Changing Cities organisierten Kiezblockbewegung agiert – auf eigene Faust ein Konzept für den Kiez zwischen Karl-Marx-Straße und Sonnenallee ausgearbeitet, der seit Jahrzehnten unter Durchgangsverkehr leidet. Sie legte es der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung vor, die im Sommer 2021 tatsächlich einen Kiezblock beschloss. Umgesetzt ist er aber bis heute nicht.
Dabei hatte es Anfang des Jahres so ausgesehen, als dauere es nur noch Wochen, bis das Problem mit ein paar Pollern und einer Einbahnstraßenregelung an strategischen Punkten behoben wäre. Stadtrat Biedermann hatte am 2. März die Anwohnenden zu einer Infoveranstaltung in die Richard-Grundschule eingeladen. Rund hundert Menschen kamen, die meisten zeigten sich sehr angetan von dem – vermeintlich – anordnungsreifen Konzept, zu dem der Bezirk den Vorschlag der Initiative weiterentwickelt hatte. Nur noch ein paar Gespräche mit Gewerbetreibenden seien zu führen, dann könne es losgehen, hieß es.
Nun beginnt das Bezirksamt im weiter nördlich gelegenen Reuterkiez, für einen Kiezblock Modalfilter zu errichten – Sperren, die keinen Autoverkehr durchlassen –, für Rixdorf aber gibt es gar kein konkretes Datum mehr. Man habe signalisiert, dass sich beides nicht parallel umsetzen lasse, sagt die Initiative, die dafür kein Verständnis hat. „Die Logik dahinter bleibt unklar. Unser Vertrauen in den Prozess ist angeschlagen“, so Lisa Hillebrand von „Kiezblock Rixdorf“. An diesem Donnerstag rufen die AktivistInnen darum zur Protestdemo auf. Los geht es um 16 Uhr auf dem Richardplatz.
Einiges schiefgelaufen
Auf Nachfrage räumt Jochen Biedermann ein, dass beim Rixdorfer Kizblock einiges schiefgelaufen ist: „Die Verzögerung schmerzt uns natürlich ebenso sehr wie viele Anwohner*innen, die sich die Umsetzung wünschen“, sagt der Stadtrat der taz. 2023 sei aber „leider kein gutes Jahr für Verkehrsberuhigung und Verkehrswende“ gewesen: „Die Unruhe der Neuwahlen, veränderte Mehrheitsverhältnisse, die Neuwahlen der Bezirksämter und des Senates und nicht zuletzt der U-Turn in der Verkehrspolitik haben viel Zeit und Kraft gekostet und viele Ressourcen gebunden, die an anderer Stelle gefehlt haben.“
Jetzt würden die Ressourcen nicht nur im Reuterkiez, sondern auch für die Entwicklung von Verkehrskonzepten im Schiller- und im Körnerkiez gebraucht. Gleichzeitig gebe es in Rixdorf, wo der Kiezblock direkt auf die Anwohnenden zurückgehe, eine „besondere Sorgfaltspflicht für die Maßnahmen“. Die müssten „erstens funktionieren und zweitens auch etwaigen gerichtlichen Auseinandersetzungen standhalten“.
Biedermann sagt auch, er und sein Amt hätten das Thema Lieferverkehr „klar unterschätzt“. Es sei aber unerlässlich, im Sinne einer breiten Zustimmung zu den Maßnahmen, „die Gewerbetreibenden im Kiez und die Lieferanten mitzudenken“. Seit dem Frühjahr habe man noch „eine Vielzahl von Gesprächen geführt, Lösungen gesucht, Veränderungen geprüft und teilweise auch vorgenommen“. Auch habe noch eine schon früher geplante Durchfahrtsperre in der Braunschweiger Straße umgesetzt werden müssen.
„Gerne schneller gewesen“
Der grüne Stadtrat klingt ehrlich zerknirscht: „Trotz dieser Thematiken wäre ich gerne schneller gewesen. Es ist kein gutes Zeichen, wenn die kommunizierten Daten nicht eingehalten werden können. Ich hätte an dieser Stelle vorsichtiger sein müssen.“ Biedermann will alles daransetzen, dass Rixdorf jetzt eben Neuköllns zweiter Kiezblock wird, „und wir auch hier endlich einen Knopf dran machen“.
Dass ein paar Absperrungen Wunder wirken, zeigen in Rixdorf der für Kfz gesperrte Böhmische Platz, der von AnwohnerInnen ausgiebig als Kiez-Wohnzimmer genutzt wird, aber auch der einzelne Poller, der seit 2021 die Durchfahrt vom Richard- zum Karl-Marx-Platz (die „Schnalle“) schließt. Allerdings hat sich der Durchgangsverkehr seitdem Ausweichwege gesucht – mittlerweile sind andere Straßen stärker belastet als vorher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern