Verkauf der Karoviertel-Wohnungen: Genossen gegen Genossenschaft
Nachdem der SPD-Senat einer Mieter-Genossenschaft einen Korb gegeben hat, drohen massive Mieterhöhungen.
„Ich finde es schade, dass sich die Genossenschaft nicht durchsetzen konnte“, sagt Karin Aßmus vom Verein „Mieter helfen Mietern“ und Mitglied des Sanierungsbeirates Karolinenviertel. Und auch die Linkspartei und die Grünen hatten eine genossenschaftliche Lösung für das Quartier favorisiert. „Mit diesem Vertrag kann die Gentrifizierung im Karoviertel nicht gestoppt werden“, beklagt der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Grünen, Olaf Duge.
Denn die Bürgerschaft hat mit den Stimmen von SPD und CDU dem SPD-Senatsbeschluss zugestimmt, die modernisierten 923 städtischen Wohnungen und 201 Gewerbeflächen aus dem Treuhandvermögen der stadteigenen Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) an das städtische Wohnungsunternehmen Saga zu überführen – für einen Kaufpreis von 80 Millionen Euro. Das Groteske: Die Saga bekommt damit ihre eigenen Häuser modernisiert zurück, die sie in den siebziger und achtziger Jahren verrotten ließ.
Damals bestand sozialdemokratische Stadtentwicklungspolitik im Klotzen. Trabantensiedlungen wie Mümmelmannsberg, Kirchdorf-Süd, Osdorfer Born oder die Lenzsiedlung wurden hochgezogen – für den Erhalt der weitgehend vom Krieg verschonten und vor 1900 erbauten Häuser rund um das Kohlekraftwerk Karoline war kein Geld vorhanden. Und die Stadt wollte sich die Option erhalten, auf dem Areal eine Messeerweiterung zu bauen.
1988 erklärte der damalige SPD-FDP-Senat das Karoviertel dann doch zum Sanierungsgebiet. Die Stadt kaufte der Saga bilanztechnisch die Häuser ab und gab sie ins Treuhandvermögen der Steg, die fortan für die Sanierung zuständig war – rund 40 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes im Quartier.
Das Karolinenviertel - nach dem Heizkraftwerk "Karoline" - ist ein Quartier im Bezirk Mitte, umgeben von Messegelände, Fleischgroßmarkt und Heiligengeistfeld.
Die Sanierung des Quartiers, das noch in den sechziger Jahren "Schlachthofviertel" genannt wurde, soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Die Karo-Genossenschaft gründete sich im Oktober 2011, um für insgesamt 50 Millionen Euro die städtischen Häuser zu kaufen. Sie hat mehr als 200 Mitglieder.
Für Spekulanten hat sich das Karoviertel inzwischen zum El Dorado entwickelt: Mietwohnungen wurden in Eigentum umgewandelt, das Viertel aufgewertet – Tante Emma-Läden verschwanden, Cafés und Boutiquen blühten auf. Inzwischen gilt die Shoppingmeile Markstraße als touristischer Insidertipp. „Hier versammeln sich kleine inhabergeführte Läden für Mode, Musik, Design, Accessoires und Dekoration“, schreibt der Senat in einem Papier. Und zum Ende des Jahres wird das Sanierungsgebiet nun offiziell aufgehoben.
Das veranlasste die Bewohner der Steg-Häuser, eine Genossenschaft zu gründen, um zu verhindern, dass die Mieten, die jetzt noch durchschnittlich bei 4,93 Euro pro Quadratmeter liegen, in die Höhe schnellen. Für 50 Millionen Euro wollte die Mietergenossenschaft die Häuser von der Steg kaufen. „Die Wenigsten hier können sich eine Kostenexplosion leisten“, sagt Christoph Rauch vom Genossenschafts-Vorstand über die soziale Lage der 2.000 Steg-Mieter.
Obwohl Bürgermeister Olaf Scholz ein Verfechter von Genossenschaftsmodellen ist, zeigte der SPD-Senat der Karo-Genossenschaft die kalte Schulter. Stattdessen wurde von Anfang an die Saga zur Übernahme verpflichtet. „Wir würden die Häuser nicht kaufen, wenn es keinen Sinn für uns machte“, sagt Saga-Sprecher Michael Ahrens. Die Saga engagiere sich gern im innerstädtischen Bereichen.
Aber es ist klar, dass es sich bei dem Kauf um einen politischen Auftrag handelt. Deshalb musste die Saga sich verpflichten, für die nächsten zehn Jahre die Miete „nur“ um zehn Prozent je drei Jahre zu erhöhen – statt der gesetzlich erlaubten um 20 Prozent. In zehn Jahren bedeutet das eine Mietsteigerung um gut ein Drittel. Nach Ablauf dieser Frist kann die Saga die Mieten schrittweise auf das Niveau des Hamburger Mietenspiegels anheben.
Zudem wären beim Genossenschaftsmodell 50 Millionen Euro in die Stadtkasse geflossen. Nun gehe der buchhalterische Deal nach dem Prinzip „linke Tasche rechte Tasche“ zu Lasten aller Saga-Mieter, sagt Christoph Rauch. Denn es sei bekannt, dass bislang alle Senate den Konzern zum Stopfen von Haushaltslöchern gemolken hätten. „Durch den Kauf könnte der Saga das Geld fehlen, woanders Sozialwohnungen zu bauen“, befürchtet der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Linken, Tim Golke.
Die schärfste Kritik am Verkauf gilt der Unverbindlichkeit: „Der Vertrag enthält zahlreiche schwammige Formulierungen, die Spielraum für unkontrollierte Mieterhöhungen lassen“, kritisiert der Grüne Duge. Vor allem bei Gewerbemieten „Wir befürchten, dass die Ladenmiete rasant auf den sogenannten marktüblichen Preis angehoben wird“, befürchtet eine Modedesignerin. „Denn im Kaufvertrag steht keinerlei Beschränkung. Für unsere Existenz ist das fatal.“
Auch Karin Aßmus vom Mieter helfen Mietern sieht viele offene Fragen. „Bei Neuvermietungen gibt es keine Begrenzung oder Deckelung“, kritisiert sie. „Das wird erheblichen Einfluss auf das Mietenniveau und auf die soziale Struktur haben.“
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