: Verhüte sich, wer kann
Konservative wollen sich die Familienhoheit zurückerobern. Mit einer eigenwilligen Auslegung einer Allensbach-Umfrage machen sie nun Front gegen Kinderbetreuung – auf Kosten junger Frauen
VON COSIMA SCHMITT
Ein Liebespaar spaziert durch sein Wohnviertel. Bleistift hinterm Ohr, Checkliste in der Hand. Sind die Spielplätze sauber, die Schaukeln sicher, liegt minutennah eine Kita? Ja-Kreuz für Ja-Kreuz befindet es: Nun wollen wir ein Kind.
Dass kein Paar so simpel eine Lebensentscheidung fällt, ist eigentlich selbstverständlich. Nicht aber für die FAZ. Auf ihrer Titelseite fordert sie die Abkehr vom „Familiensozialismus“. Nicht der Kitamangel sei schuld, dass die Republik vergreise. Die Frauen fänden lediglich keinen geeigneten Mann. Die FAZ beruft sich auf eine aktuelle Umfrage, die ergab: Nicht einmal für jeden fünften Deutschen sind fehlende Krippen ein Grund für den Babyverzicht. Fast jeder Zweite aber scheitert bei der Partnersuche. Deutschlands Nachwuchsproblem – nur eine Folge zu wählerischer Singles?
Schon ein zweiter Blick auf die Studie zeigt: So eindeutig ist die Aussage nicht. Immerhin drei von vier Kinderlosen empfinden das Klima im Land als „kinderfeindlich“. Vier von zehn Müttern sind überzeugt: Kinder sind klare Karrierehemmer. Wäre Deutschland ein Hort des Krippenglücks, in der Fachkräfte rund um die Uhr die Kleinsten hegten und förderten – sähen diese Ergebnisse dann nicht anders aus?
Natürlich wird kaum eine Frau die Pille absetzen, nur weil gerade in der Nachbarstraße eine Kita eröffnet. Ob sie sich aber ermutigt fühlt in ihrem Babywunsch – das hängt sehr wohl mit fehlender Kinderbetreuung zusammen.
Noch erlebt sie, wie ihre Kollegin sich abmüht, Punkt drei Uhr vom Bürotisch zum Kindergarten zu hetzen, weil Rund-um-die-Uhr-Betreuung unbezahlbar ist. Sie beobachtet, wie die Freundin sich im dauerschlechten Gewissen gegenüber Baby und Chef aufreibt. Wie sie vor der nächsten Entlassungswelle zittert und jeden beruflichen Aufstiegswunsch begräbt.
Dabei ließe sich dieses babyverhütende Klima mindern, wie die Beispiele Frankreich oder Schweden zeigen: In beiden Ländern ist es selbstverständlich, Familien allerorts Krippenplätze anzubieten. Und ebenso ist es üblich, dass Frauen nach der Geburt in die Büros zurückkehren. Eltern müssen sich nicht entscheiden zwischen Wickeltisch und Chefsessel. Sie können beides verbinden.
Mutterfreuden wären damit auch für Akademikerinnen attraktiv. Sie sind die Hauptzielgruppe aller Familienpolitiker – weil sie stärker noch als andere zum Leben ohne Nachwuchs neigen. Gerade eine studierte Frau wird die hart erarbeitete Karriere nicht mit dem „Jobkiller Kind“ gefährden. Doch gerade sie dürfte jene gebildeten Mittelschichtskinder großziehen, die später die Sozialsysteme sichern sollen.
Und noch ein Quantensprung wäre möglich, wenn die Nation ihre Kleinsten nicht nur ganztags, sondern auch pädagogisch fundiert betreuen ließe: Das alte Vorurteil wäre überholt, dass niemand so gut Babybrei reichen und beim Puppenspiel assistieren kann wie die eigene Mutter.
In Ostberlin gibt es einen Bezirk, der als eine Art soziologisches Experiment schwedische Verhältnisse testet: den Stadtteil Prenzlauer Berg. Altbauwohnung an Altbauwohnung leben hier die jungen Akademikerinnen – mit ihren Kindern. Nachwuchs zu haben ist in. Kaum eine Kneipe ohne Lego-Ecke, kaum ein Café, in dem sich nicht die Kinder-Buggys stauen. Hinzuziehenden vermittelt sich: Ein Kind zu haben ist normal. Es bedeutet nicht das Ende einer Lebensweise, die anderes wünscht als Kleinstadtbetulichkeit und Fernsehabende im Schlabberpulli. Die Menschen, die hier mittags Kinderwagen schieben, sehen auch nicht anders aus als die, die abends in den Clubs tanzen.
Natürlich liegt es nicht allein an der osttypischen Kitadichte, dass sich hier so viele Paare das Wagnis Kind zutrauen. Ein Signal aber kann sie sein – für eine Nation, die Karrieremütter als selbstverständlich betrachtet.