Verhaltenskodex für die Wissenschaft: Chinas Forschung liebt die Partei

Angestellte der chinesischen Akademie der Wissenschaften müssen sich künftig zur Parteitreue verpflichten. Freie Forschung scheint so kaum möglich.

Zwei Männer sind im Labor: einer schaut sich Gras an, der andere macht Notizen.

Müssen auf Parteilinie sein, Forschung an Feuchtgebiets-Ökosystemforschung im Rahmen des CAS in Provinz Hunan Foto: Xue Yuge/imago

PEKING taz | Der Übergang von einer autoritären zur totalitären Herrschaft sind fließend. Doch ein zentrales Kriterium stellt die umfassende Gesinnungstreue dar, welche der Einparteienstaat seinen Bürgerinnen und Bürgern abverlangt: Eine passive Beobachterrolle wird ihnen aberkannt, stattdessen müssen sie sich proaktiv zur ideologischen Loyalität verpflichten.

Anfang September hat ausgerechnet die chinesische Akademie der Wissenschaften (CAS) eine solche Grenze überschritten. Von der internationalen Medienöffentlichkeit nahezu unbemerkt, erneuerte die mit nahezu 80.000 Angestellten größte Forschungseinrichtung der Welt ihren Verhaltenscodex, dem jedes Mitglied unterliegt.

Künftig müssen die Wissenschaftler unter anderem „die Liebe zur Partei vorleben“, „der nationalen Sicherheit dienen“ und auch „im Einklang mit der Politik des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas stehen“.

Seit einigen Jahren wird in Deutschland die wissenschaftliche Kooperation mit China auf den Prüfstand gestellt. Denn einerseits ist die Volksrepublik in vielen Bereichen zur führenden Wissenschaftsnation aufgestiegen. Gleichzeitig ist unabhängige Forschung im repressiven Klima unter Staatschef Xi Jinping nahezu unmöglich geworden. Die letzten verbliebenen Professoren, die ausländischen Medien kritische Interviews gegeben haben, wurden längst gefeuert, inhaftiert oder haben sich in die innere Emigration zurückgezogen.

Zugang zu Unis eingeschränkt

Und spätestens seit der Pandemie ist die Isolation chinesischer Universitäten wörtlich zu nehmen: In der Hauptstadt Peking sind sämtliche Campus-Eingänge der Spitzenunis mit Überwachungskameras und elektronischen Türen ausgestattet. Nur Studierende und Lehrende dürfen nach einem Gesichts-Scan das Gelände betreten, für Außenstehende ist der Zugang verboten.

Offiziell wird die Maßnahme mit dem Schutz vor der Pandemie begründet. Tatsächlich steht dahinter die Kontrollwut einer paranoiden Parteiführung, die in den Universitäten stets einen Hort für politische Opposition wettert: Auch die historischen Proteste gegen die „Null Covid“-Politik im letzten November sind von chinesischen Studierenden ausgegangen.

Nun schließt die CAS mit ihren politischen Vorgaben die akademische Freiheit noch weiter ein. Neben eingangs erwähnter Gesinnungstreue wird den WissenschaftlerInnen zudem verboten, ihre akademischen Ansichten zu Themen zu äußern, die außerhalb ihres Fachgebiets liegen.

Die Regulierungen sind umso erstaunlicher, wenn man sie mit dem ursprünglichen, bereits vor neun Jahren eingeführten Verhaltenscodex der CAS vergleicht: Damals wurden die Schlagwörter „Partei“, „nationale Sicherheit“ und „Vaterlandsliebe“ mit keiner einzigen Silbe erwähnt.

Kooperationen mit der Max-Planck-Gesellschaft

Die chinesische Akademie der Wissenschaften unterhält ausgiebige Kooperationen mit Deutschland. Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) bezeichnet die CAS etwa als „wichtigste Partnerinstitution“. Seit fünf Jahren arbeite man in „strategisch ausgewählten wissenschaftlichen Schwerpunktbereichen“ zusammen, etwa der Radioastronomie und den Verhaltenswissenschaften.

Die MPG erhalte dabei „privilegierten Zugang zu teils weltweit einzigartigen und exzellenten Infrastrukturen der CAS“, wie es heißt. Und: Beide Seiten würden gleichermaßen von der Kooperation profitieren. Wie jedoch lässt sich mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten, die von vorneherein dazu verpflichtet sind, auf Parteilinie zu sein?

Politische Ziele für die Forschung

„Chinesische Universitäten und Forschungseinrichtungen waren noch nie völlig autonom und im Prinzip schon immer in die politischen Strukturen und Programme des chinesischen Einparteienstaates eingebunden“, sagt Christina Beck, die die Kommunikationsabteilung der Max-Planck-Gesellschaft leitet: „Aber wir nehmen natürlich mit großer Sorge wahr, dass das nun immer deutlicher öffentlich formuliert und die chinesische Forschung immer stärker politischen Zielen untergeordnet wird“.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es etwa auch künftig untersagt, an Gesellschaftsveranstaltungen teilzunehmen, bei denen sie Kontakte knüpfen könnten, um geschäftliche Gefälligkeiten zu erhalten. Die Vorgaben lassen sich ambivalent deuten: Einerseits möchte die Parteiführung Korruption erschweren – und die Netzwerke der führenden Wissenschaftler kontrollieren. Die Parallelen zu Xi Jinpings Korruptionsbekämpfung sind offensichtlich: So hat der 70-Jährige seine Kampagnen stets auch dafür genutzt, politische Gegner auszuschalten.

Mit China im Austausch bleiben

Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) unterhält mit der CAS seit 2007 ein Kooperationsabkommen. Dies umfasst unter anderem ein bilateral finanziertes Stipendienprogramm für chinesische NachwuchswissenschaftlerInnen, die im Rahmen ihrer Promotion für bis zu zwei Jahre nach Deutschland kommen. Der Umfang des Programms ist allerdings gering: 2023 wurden nur sieben Stipendien vergeben.

Die verschärften politischen Vorgaben des CAS werden die Existenz des Stipendienprogramms nicht bedrohen. „Die Vorgabe zur Treue zum Vaterland und der Einhaltung der Parteilinie bei öffentlichen Statements ist in China bereits seit längerem Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere“, sagt Pressesprecher Michael Flacke.

Der Verhaltenskodex würde also nur explizit ausformulieren, was ohnehin schon zuvor galt. Und mögliche Sicherheitsrisiken im Umgang mit chinesischen Kooperationspartnern würde der DAAD bereits seit längerem diskutieren.

Auch die Max-Planck-Gesellschaft überprüft derzeit „alle Aspekte ihrer wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit China“ und wird noch im November ein Papier mit Handlungsempfehlungen publizieren. Damit folgt sie unter anderem dem MIT in Cambridge. Denn trotz der schwieriger werdenden Rahmenbedingungen möchte die MPG unbedingt im Austausch mit ihren chinesischen Partnern bleiben, sagt Christina Beck: „Über Wissenschaftskontakte kann man Türen offenhalten, die eventuell in anderen Bereichen verschlossen sind“.

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