Nicht
ohne
Sarah
Die Syrerin Sarah Mardini wurde berühmt, als sie auf ihrer eigenen Flucht schwimmend ein havariertes Schlauchboot zog. Nun wurde sie in Lesbos als Flüchtlings-helferin verhaftet. Der Vorwurf: Menschenschmuggel. Ihre Freundin Claudia Drost kämpft für ihre Freilassung
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Jede freie Minute verbrachten Sarah Mardini (links) und Claudia Drost auf Lesbos in den vergangenen Monaten zusammen Foto: Foto: privat
Aus Lesbos Franziska Grillmeier
Es ist sechs Uhr morgens, am Flughafen in Lesbos hält Sarah Mardini ihr Ticket schon in der Hand. Gleich soll ihr Flug nach Berlin gehen. Nach neun Monaten als ehrenamtliche Flüchtlingshelferin auf Lesbos will sie ihr Studium dort wieder aufnehmen, sie will in ihr Leben in Deutschland zurückkehren. Doch Mardini verpasst ihren Flug.
Drei Polizisten in Zivil treten auf sie zu, fordern sie auf, mitzukommen. Mardini drückt ihrer Freundin, die sie zum Flughafen gebracht hat, die Transportbox mit ihrer Straßenkatze Rosa in die Hand. Eigentlich wollte sie die Katze, frisch geimpft, mit nach Deutschland nehmen. „Dreimal am Tag füttern“, sagt sie nun, als wäre es das Einzige, was gerade ihre Gedanken ordnen kann. Dann wird sie von den Polizisten abgeführt. In einem Auto mit verdunkelten Scheiben wird sie zur örtlichen Polizeistation gebracht. Der Vorwurf: Menschenschmuggel.
Claudia Drost bleibt an diesem Morgen allein am Flughafen zurück. Mit Mardinis Gepäck, der Katze und deren Impfpass. Sie spürt noch den Schatten der letzten Nacht um die Augen – Mardinis Abschiedsparty dauerte lang. Nun ruft Drost gemeinsame Freunde an, um ihnen zu erzählen, was passiert ist. „Die Polizisten sagten, Sarah könne am nächsten Morgen auf Kosten der griechischen Regierung weiterfliegen, falls alles in Ordnung sei“, erzählt sie später.
Doch Mardini kommt an diesem 21. August nicht frei und auch nicht in den folgenden Tagen. Ihre Verhaftung sorgt für internationale Schlagzeilen. Mardini, 23 Jahre alt, wurde mit ihrer eigenen Fluchtgeschichte 2015 berühmt. Ihre Schwester Yusra und sie waren beide professionelle Schwimmerinnen und trainierten vor ihrer Flucht mit dem syrischen Nationalteam. Als bei der Überfahrt zwischen der türkischen Küste und Lesbos der Motor des Schlauchboots ausfiel, ließen sich die beiden Schwestern ins Wasser gleiten und zogen das Boot mit 18 Menschen schwimmend hinter sich her, bis sie die Lichter der Insel sahen.
Als die Schwestern Mardini über die Balkanroute im Herbst 2015 schließlich nach Berlin gelangen, werden sie von den deutschen Medien für ihre Rettungsaktion gefeiert. Yusra Mardini darf als Schwimmerin mit einem Flüchtlingsteam an den Olympischen Spielen 2016 in Rio teilnehmen, und beide Schwestern werden im November 2016 mit einem Bambi als „Stille Helden“ geehrt.
Bereits ein halbes Jahr nach ihrer eigenen Flucht entscheidet sich Sarah Mardini, das erste Mal nach Lesbos zurückzukehren, um denen zu helfen, die noch immer auf der Insel festsitzen. Seitdem verlässt sie ihr neues Leben in Berlin immer wieder für mehrere Monate, um auf Lesbos als Freiwillige mitanzupacken.
Als Drost sie in Haft besucht, zieht Mardini Grimassen hinter dem Gitterfenster
Bei ihrer ersten Rückkehr auf die Insel lernt sie Claudia Drost in einer Dönerbude vor dem Flüchtlingsauffanglager Moria kennen. Drost ist dauerhaft auf Lesbos. Sie arbeitet für eine niederländische NGO in dem Lager, ist fest angestellt. Mardini und sie verstehen sich auf Anhieb. Die beiden werden sich später die „hellere“ und „dunklere“ Version voneinander nennen.
Jetzt sitzt Claudia Drost mit ihrem Computer in einem kleinen Café am Hafen von Mytilini, dem Verwaltungssitz von Lesbos. Die Verhaftung ihrer Freundin hat auch ihr Leben auf den Kopf gestellt. Jeden Tag wartet sie auf einen Anruf von Mardini aus dem Gefängnis, sie leitet Presseanfragen an Mardinis Schwimmtrainer und Vertrauten Sven Spannekrebs in Berlin weiter, versucht möglichst viel öffentliche Aufmerksamkeit zu schaffen. Die ersten Tage nach der Verhaftung ihrer Freundin seien ein Schock gewesen, mittlerweile könne sie wieder schlafen, sagt sie. „Hilft ja nichts, jetzt den Kopf zu verlieren.“
Drost ist die Einzige, die es schafft, Mardini während der ersten Tage ihrer Untersuchungshaft auf der Polizeiwache von Lesbos zu sehen. Sie scherzt mit den Wächtern, raucht ein paar Zigaretten mit dem Polizeichef und hält bei der Begrüßung eine Flasche Wasser, frische Unterwäsche und Toilettenpapier in die Luft. Die Polizisten verstehen, dass Mardini keine anderen Angehörigen auf der Insel hat. Drost darf sich vor die Gitterstäbe von Mardinis Zelle setzen. In der kurzen Besuchszeit reden sie über all die Dinge, die sie sonst in den Mittagspausen im Camp besprochen hätten.
Mardini teilt sich die Zelle mit zwei anderen Frauen, denen sie ein paar Brocken Englisch beibringt, um die Zeit totzuschlagen. Die Frauen klagen über zu wenig Wasser, zu wenig Essen. Duschen? Nur alle zwei Tage. Am dritten Tag fragt Drost, die mittlerweile einen eigenen Aschenbecher bei den Polizisten auf der Station bekommen hat, was sie denn mit der Katze machen soll. Rosa würde ihr die ganze Wohnung verwüsten, brauche dringend Auslauf. „Ein bisschen wie du“, sagt Drost zu ihrer Freundin. Die beiden müssen lachen.
Mardini gibt ihrer Freundin die Adresse einer Frau, die sich um Katzen kümmert. Dann schneidet sie noch ein paar Grimassen hinter dem Gitterfenster, als ihre Freundin gehen muss. Es ist das letzte Mal, dass Drost sie auf der Polizeistation sieht. Einen Tag später wird Mardini in ein Athener Hochsicherheitsgefängnis verlegt.
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Über 8.000 Menschen warten im Lager Moria darauf, dass es mit ihrem Leben weitergeht Foto: Roman Kutzowitz
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: Menschenschmuggel, individuelle Bereicherung durch Spenden, Geldwäsche, Spionage und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Hat Sarah Mardini damit überhaupt etwas zu tun? Eine 23-jährige geflüchtete Syrerin, die sich ehrenamtlich bei einer NGO engagiert? Oder geht es um einen Schauprozess zur Kriminalisierung von freiwilligen Helfern, wie sie in den letzten Monaten auch in Italien oder Malta geführt wurden?
Vor neun Monaten kehrte Mardini zum fünften Mal von Berlin aus nach Lesbos zurück, um ehrenamtlich für die Flüchtlingshilfsorganisation ECRI zu arbeiten. Mardini hätte das Leben einer Studentin in Berlin führen können, mit Freunden ausgehen, die Sicherheit genießen, doch sie konnte Lesbos nicht vergessen. Hunderte freiwillige Helfer versuchen seit Jahren die riesigen Lücken im Versorgungssystem der Auffanglager zu füllen. Viele sind aber keine professionell ausgebildeten Helfer. Sie kommen auf der Insel oft an ihre physischen und psychischen Grenzen. Zurück in ihrer Heimat fühlen sich viele weiter mitverantwortlich für die Menschen in Not, und so pendeln sie zwischen der Sicherheit eines mitteleuropäischen Lebens und den Flüchtlingslagern.
Nach Mardinis letzter Rückkehr nach Lesbos im Dezember 2017 verbringen sie und Drost fast jede freie Minute zusammen. Sie teilen den gleichen sarkastischen Humor, abends manchmal ein Bett zum Schlafen und in der Mittagspause