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Vergiftete Gletscher„Auch Menschen gefährdet“

Längst verbotene chemische Verbindungen finden sich inzwischen überall, auch in den Gletschern der Arktis. Experte Zhiyong Xie warnt vor den Folgen.

Ein Gletscher auf Grönland Foto: anp/imago
Teresa Wolny
Interview von Teresa Wolny

taz: Herr Xie, was ist über Chemi­kalien in den Eis- und Schneeschichten der Arktis bisher bekannt?

Zhiyong Xie: Mit den Meeres­strömungen werden die Stoffe aus Regionen wie Europa oder Nord­amerika in die Arktis trans­portiert. Die niedrigen Temperaturen dort verlangsamen ihren Zersetzungs­pro­zess, und sie reichern sich im Eis und im Schnee an. Im Sommer schmelzen sie dann und gelangen so in die Küstengewässer. Viele der Stoffe sind flüchtige, also gasförmige Chemikalien, mit der Verdunstung des Wassers gelangen sie in die Atmosphäre und fallen dann als Schnee wieder auf die Gletscher.

Im Interview: Zhiyong Xie

Der Umwelt­chemiker arbeitet am Helmholtz-Zentrum Hereon und forscht zum Langstreckentransport von Schadstoffen durch die Atmosphäre sowie durch Meeresströmungen.

Diese Stoffe haben also ihre eigenen Kreisläufe gebildet?

Ja, durch die Zirkulation der Luftmassen in der Arktis bleiben sie, nach allem, was wir wissen, in diesen Regionen. Viele der Chemikalien, die wir aktuell in der Arktis finden, sind eigentlich schon seit den 1970er Jahren verboten. Bei bestimmten organischen Verbindungen aus der Gruppe der Per- und poly­fluorierten Chemikalien (PFAS), die etwa für wasserabweisende Textilien verwendet werden und in europäischen Ländern mindestens seit 2009 nicht mehr industriell genutzt werden, sehen wir, dass die Konzentration von der Nordsee aus in Richtung des zentralen Atlantiks sinkt. An den Küsten von Grönland und Spitzbergen steigt sie aber wieder. Wir sehen also, dass dort, wo durch die schmel­zenden Gletscher der Salzgehalt niedriger ist, verhältnismäßig viele Chemikalien im Wasser sind. Das deutet darauf hin, dass diese Stoffe mit dem Schmelzwasser aus dem Eis ins Meer gespült werden.

Wie lange bleiben diese Stoffe in der Umwelt – sprechen wir da eher von 10 oder von 300 Jahren?

Bei einigen Stoffen sinkt die Konzentration, nachdem sie verboten wurden, recht schnell – zehn Jahre ist dafür trotzdem eine sehr kurze Zeit. Das Problem ist, dass selbst nach einem Verbot die alten Produkte, die diese Chemikalien enthalten, noch für Jahrzehnte in Gebrauch sind. Generell sind viele Stoffe viel stabiler in der Umwelt, als man früher dachte, sie verändern sich also nicht und zerfallen auch nicht. PFAS zum Beispiel können definitiv mehr als 100 Jahre stabil bleiben.

Was bedeutet das für die Umwelt?

Die Schädlichkeit von einigen Chemikalien für Mensch und Tier wurde bereits erforscht, zum Beispiel, dass sie toxisch wirken oder zu Hormonstörungen führen können. Bei einigen, vor allem bei den neuartigen Stoffen, sind Wissen­schaftler noch dabei, die genauen Folgen zu untersuchen. Es besteht aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch sie schädlich für Organismen sind. Sicher ist, dass sich die Stoffe in der Nahrungskette anreichern. In Blut- und Fettproben von Eisbären und Ringelrobben wurden Organo­phosphate-Ester gefunden, die als Flammschutzmittel verwendet werden. Aber nicht nur Tiere werden gefährdet, sondern auch Menschen. Denn beispielsweise durch die Nahrungsaufnahme können Schadstoffe in den menschlichen Organismus gelangen, wo sie kaum abbaubar sind.

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1 Kommentar

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  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    (Selbst-)Entgiftung ist eine nicht aufhebbare Voraussetzung für regenerative Prozesse in Organ-- und Ökosystemen. Vulgär: Man darfs nicht allzusehr verkacken. Die Entwicklung der Fähigkeit zu kollektiver Selbstdisziplinierung ist weiterhin eine evolutionäre Schwelle. Lieber Anpacken als Reingreifen.