Vergesellschaftung von Wohnungen: Enteignen – aber wie?
Rechtswissenschaftler und Ökonomen diskutieren über die angestrebte Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne. Schwierig wird es in den Details.
Sie fügte hinzu: „Aber ich sage ganz klar: Inhaltlich bin ich dagegen.“ Giffey hofft offensichtlich darauf, das Begehren rechtlich abwürgen zu können – und sich dem Auftrag eines erfolgreichen Plebiszits, ein Vergesellschaftsgesetz zu erlassen, zu entziehen. Ob sich ihr Wunsch erfüllen lässt?
Enteignungen rein rechtlich zu unterbinden – das jedenfalls könnte schwierig werden. Eine erste große Fachkonferenz von Jurist*innen und Ökonom*innen zur möglichen Umsetzung der Enteignung privater Immobilienkonzerne am Dienstag, ausgerichtet von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Berliner Mieterverein, zeigte, wie es gehen könnte. Zwar warten, das wurde bei den verschiedenen Panels mit mehr als einem Dutzend Expert*innen klar, viele Fallstricke bei der Umsetzung, doch im Grundsatz gab es zumindest zwei große Übereinstimmungen: Eine Vergesellschaftung durch das Land Berlin ist zulässig, und die zu zahlende Entschädigung muss und kann deutlich unter Verkehrswert erfolgen.
Zu sortieren wäre dafür zunächst das Verhältnis von Grundgesetz und Berliner Landesverfassung. Am Anfang stand dann auch eine Diskussion von Verfassungsrechtler*innen. Denn während mit dem Grundgesetzartikel 15 die Vergesellschaftung ganzer Wirtschaftsbereiche ermöglicht wird, fehlt eine entsprechende Ermächtigung in der Landesverfassung, erklärten Michael Rodi und Roman Weidinger von der Universität Greifwald. Die Landesverfassung kennt nämlich nur den Begriff der „Enteignung“, der sich eher punktuell deuten lässt.
Der Vorstellung, dass Berlin damit das Eigentum stärker schütze, als es das Grundgesetz als Mindestmaß vorgebe, widersprach Weidinger. Dies ergebe sich schon aus der Historie, aus der nicht hervorginge, dass Berlin auf das Recht der Vergesellschaftung verzichten wollte. Stattdessen hatte Berlin 1947 ein eigenes Sozialisierungsgesetz beschlossen, das aber später am Widerstand der Alliierten scheiterte. Auch wiege der Eigentumsschutz der Landesverfassung nicht höher als Artikel 15 GG, der eine „Systemnorm“ sei; eine „wirtschaftspolitische Öffnungsklausel“, die „zum Ausdruck bringen soll, dass die Wirtschaftsordnung offen ist“, wie Weidinger sagte.
Begrenzte Anforderungen
Die Anforderungen aus dem Grundgesetz für eine Vergesellschaftung stellen laut Rödi „keine großen Hürden“ dar. Wohnungen würden dem vergesellschaftsfähigen Bereich „Grund und Boden“ zugeordnet. Ob privates Eigentum überhaupt vergesellschaftungsreif ist, das ergebe sich aus der wirtschaftlichen Bedeutung der Konzerne. Auch die Verhältnismäßigkeit ließe sich begründen: Die Juristin Clara Röhner wies darauf hin, dass die Voraussetzungen für den als radikal empfundenen Schritt gar nicht so hoch seien: es brauche lediglich ein Gesetz über die Sozialisierung und eine Entschädigung. „Die Vergesellschaftung ist eine politische Entscheidung der Parlamente.“
Knackpunkt dabei bleibt die Höhe der Entschädigung. Thorsten Beckers, Professor für Infrastrukturwirtschaft von der Universität Weimar, sagte: „Eine Entschädigung nach Verkehrswert wäre absurd.“ Laut Grundgesetz müsse eine Abwägung zwischen den Interessen der Enteigneten und der Allgemeinheit stattfinden. Eine Berechnung, wie sie Deutsche Wohnen & Co enteignen vorgenommen habe, also nur ausgehend von den zukünftig gewünschten Mietpreisen, würde dabei jedoch das Interesse der Immobilienkonzerne vernachlässigen.
Auch Lukas Vorwerk von der TU Berlin sagte, eine Entschädigung dürfe auf keinen Fall den Marktwert erreichen – dies wäre eine „Auszahlung des Barwerts der Macht“. Stattdessen müsse mit dem Ertragswert operiert werden, also einer Abschätzung zukünftiger Erträge der etwa 240.000 Wohnungen. Beide waren sich einig: Es sei problemlos möglich, ein kreditfähiges Konstrukt zu etablieren, das die Entschädigung ohne Belastung für den Landeshaushalt regelt.
Beckers kritisierte den Berliner Senat scharf: der nämlich liegt mit seiner Kostenschätzung von mehr als 30 Milliarden Euro nah an dem Marktwert der Immobilien. „Wenn die an so einer Kalkulation scheitern, können sie dann eine Vergesellschaftung durchführen?“, fragte er. Klar wurde: Eine Abwägung und monetäre Bestimmung aller Interessen wird extrem schwierig und politisch umkämpft.
Joachim Wieland, ehemaliger Rektor der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, empfahl dann auch einen „Diskussionsprozess im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, wo man alle Beteiligten zu Wort kommen lässt“. Dieser langwierige Prozess sei nötig, wolle man schließlich ein entsprechendes Gesetz „verfassungsfest machen“.
Schon am Donnerstag wird die Debatte für ein breiteres, nicht ganz so fachspezifisches Publikum weitergeführt – im Bildungsverein Helle Panke. Zwei Vorträge widmen sich sowohl der Rechtsgeschichte der Enteignung als auch der Frage der Entschädigungshöhe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner