Vergangenheitstrip: „Ich hatte Angst vor Gediegenheit“
Ein Gespräch mit dem Filmemacher Detlev Buck und dem Schriftsteller Daniel Kehlmann über den Film „Die Vermessung der Welt“.
taz: Herr Buck, die üppigen Bilder von Amazonien in Ihrem neuen Film, „Die Vermessung der Welt“, findet man die noch so vor Ort?
Detlev Buck: Den Dschungel, den Alexander von Humboldt vorgefunden hat, den gibt es nicht mehr. Er ist jetzt durchzogen und durchädert von Straßen und Leitungen, von Ölpipelines, von abbrennbaren Gasen.
Ist es im Urwald inzwischen eng geworden?
Detlev Buck: Das ist genau wie in Deutschland: Du kannst nicht in die Vergangenheit reisen, du musst sie erzeugen, mit allem, was dazugehört.
geboren 1962. Schauspieler, Drehbuchautor, Produzent, Regisseur. Einem größeren Publikum wurde er mit seinem Film „Wir können auch anders“ (1993) bekannt. Als Geschäftsführer der Firma Silbersee Film GmbH ist Buck auch als Werbefilmer tätig.
Das heißt, Sie haben das Drehbuch für die Indios geschrieben, und diese mussten ihre Ursprünglichkeit aus der Requisitenkammer holen?
Detlev Buck: Das musste alles gestellt werden. Die Huaranis in Ecuador leben teilweise sehr unberührt. Das ist eine Gemeinschaft, die mit den Fettaffen lebt und mit der Penisschnur bekleidet ist, wenn die Leute unter sich sind. Aber sie genieren sich dafür. Andere kommen in Jeans daher und sind stark durch die katholische Kirche geprägt.
Wie wurde ihr Team von den Indios in Ecuador aufgenommen?
Detlev Buck: Es wurde schnell ein gegenseitiges Verständnis aufgebaut. Für die Indios, die sich bereit erklärt haben mitzumachen, ist der Forscher Humboldt ein Held. Weil er eben kein Eroberer ist, sondern jemand, der wirklich versucht hat, etwas zu durchdringen. Beispielsweise war er ein Feind der Sklaverei, deshalb haben wir die Szene auf dem Sklavenmarkt auch stark hervorgehoben.
Sie haben also nicht mit ein paar Dollars Leute geangelt?
Deltev Buck: Nein, den Indios war es ein großes Bedürfnis, dass dieser Film entsteht und gut wird. Dadurch hatte man nie das Gefühl, dass man sie überfällt, gefügig macht und dann wieder abhaut.
Eines haben der Mathematiker Carl Friedrich Gauß und der Naturforscher Alexander von Humboldt, die Hauptfiguren, deren Leben in dem Film gezeigt wird, gemeinsam: Beide sind Ausnahmewissenschaftler von unstillbarem Erkenntnisdrang. Was haben Sie beide gemeinsam?
Daniel Kehlmann: Ich habe uns in der konkreten Zusammenarbeit nicht als wahnsinnig unterschiedlich erlebt. Es war sehr harmonisch.
geboren 1975. Schriftsteller. Internationaler Erfolg wurde im Jahr 2003 sein fünftes Buch, „Ich und Kaminski“. Sein Roman „Die Vermessung der Welt“ wurde zu einem Bestseller weltweit.
Herr Kehlmann, hatten Sie Angst, dass diese Verfilmung Ihres Buches in Exotismus abgleiten könnte?
Daniel Kehlmann: Nein. Exotismus, das gibt der Ansatz des Romans gar nicht her, weil er ja wenig Sozialkolorit hat, außerdem ist er eine Komödie und damit von Natur aus unpathetisch. Ich habe für den Roman ja keine Reisen unternommen. Mexiko kannte ich ganz gut. In Peru war ich aber vorher nicht, und ich hatte nicht den Eindruck, dass das beim Schreiben einen Unterschied macht.
Sind Sie mit den Filmbildern zufrieden ?
Die Literaturverfilmung „Die Vermessung der Welt“ erzählt das Leben des Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und das des Naturforschers Alexander von Humboldt (1769-1859) nach dem weltweiten Bestseller von Daniel Kehlmann. Die Protagonisten, hochbetagt und höchst eigenwillig, treffen sich im hässlichen Berlin. Das Drehbuch, eng an der Vorlage, schrieb Kehlmann.
Opulent, unterhaltsam, vorlagentreu, gut: In starken
Bildern fängt die Kamera die Schwüle Amazoniens und die Enge Deutschlands ein. Wie das Buch,
so kommt auch der Film sehr leicht daher. Eine Leistung angesichts der historischen Wucht der Protagonisten Gauß und Humboldt.
Daniel Kehlmann: Sehr. Ich hatte Angst vor Gediegenheit. Ich wollte keine schöne, saubere Nachmittags-Fernsehhistorien-Geschichte, diese Art BBC-Jane-Austen-Verfilmung. Deswegen hab ich mich so gefreut, als Detlev sich für das Buch interessierte, weil mit ihm etwas Frischeres, Wilderes zu erwarten war.
Amazonien, das sind im Film schöne Bilder. Exotischer, fremder wirken aber die Szenen in Deutschland, wo das Leben des Mathematikers Gauß spielt.
Daniel Kehlmann: Dschungel ist ja letztlich doch auch irgendwie vertraute Vegetation. Die hier in Deutschland erzeugte Vergangenheit wirkt bedrängender, dunkler, enger. So sieht man sie ansonsten nicht in Historienfilmen. Dadurch ist diese Vergangenheit viel exotischer. Es gibt diese wunderbare Bemerkung, des echten Humboldt: "Die Natur spricht überall dieselbe Sprache." Es gibt exotische Natur, sagt er, nur als Traumvorstellung, aber sobald man irgendwo ist, fühlt man, dass Natur überall das Gleiche ist. Urwald ist auch nur Wald. Aber die Zivilisation spricht absolut nicht überall dieselbe Sprache, da entsteht auch schon mal große Fremdheit.
Und die Bilder dieser Fremdheit wirken im Film wie ein wunderbares Zeitdokument.
Detlev Buck: Das liegt daran, dass wir sehr großen Wert auf die Ausstattung bis in kleinste Detail gelegt haben: Kostüme, Gesichter, Mimik, Gesten …
Ein Sehgenuss …
Daniel Kehlmann: Deswegen ist es ja auch so wichtig, den Film in 3-D zu sehen, weil gerade dadurch diese feinen, haptischen Details so viel stärker wirken. Ich werde immer ganz traurig, wenn mir Leute sagen, das mit 3-D sei doch Schnickschnack. Nein, der Film ist so wunderbar komplex und reich entworfen für das Sehen in 3-D, dass man einfach auf diese Erfahrung nicht verzichten sollte. Diese komplexe Ausstattung macht den Film so stark.
Nur Humboldt ist nicht immer komplex, zumindest fehlt jeder Hinweis auf seine Sexualität.
Daniel Kehlmann: Im Buch gibt es einen Moment, in dem das zwischen ihm und seinem Bruder klar ausgesprochen wird. Sein Bruder sagt zu ihm: "Immer noch die Knaben?" Aber im Film bleibt das ziemlich ausgespart. Ich hatte mich auch im Roman dafür entschieden, dass Humboldt diese sexuelle Ebene verdrängt. Und dass dieser wahnsinnige Reise- und Davonlaufdrang eben auch davon kommt, dass er etwas in sich hat, was er nicht wahrhaben oder gar zulassen will. Das war im 18. und 19. Jahrhundert normal. Ich habe mich auch an Don Quichotte und Sancho Panza orientiert. Sie sind im Grunde das prototypische Paar der Reisenden. Ihr wahres Abenteuer ist ihr ständiger Konflikt, den sie durch die Welt tragen. Und ein bisschen haben eben Humboldt und Bonpland auch eine Don-Quichote-und-Sancho-Panza-Beziehung.
Herr Buck, was machte Sie neugierig auf die Verfilmung der "Vermessung der Welt"?
Detlev Buck: Ein frischer Zugriff auf historische Figuren, der nicht historisierend wirkt, sondern frech und frei ist. Aber trotzdem ist ein Prinzip herausgearbeitet: das Prinzip von Individuen, die sich nicht zufriedengeben mit dem, wie es ist. Das interessiert mich. In allen meinen Filmen geht es um Menschen, die sich von A nach B bewegen: von Grunewald nach Neukölln, vom Knast in die Freiheit. Mir geht es um das Prinzip der Bewegung, auch bei dem Naturforscher Humboldt und dem Mathematiker Gauß. Selbst wenn der eine nicht so viel reist, bewegt er sich doch im Kopf sehr, sehr viel.
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