Vergangenheitsbewältigung der Roma: „Allen ging es g’schissen“
Provokative Plakate, ehrliche Filme: Romni Marika Schmiedt sieht sich mit ihrer Kunst als Chronistin ihrer Zeit. Dafür nimmt sie Ärger in Kauf.
Wien, die Walzerstadt. Hier scheint das Leben so vor sich hin zu plätschern. Auftritt Marika Schmiedt.
Mit Pudel. Jawa wird im 6. Bezirk von Wien oft auf der Straße gegrüßt. Die kleine schwarze Pudeldame hat nur noch drei Beine. Jawa ist ein fröhlicher Hüpfhund. „Also“, sagt Marika Schmiedt. „Ich mag diese Presseetiketten überhaupt nicht: Roma-Künstlerin! Ich bin Künstlerin und Aktivistin. Und ich bin eine Romni. So stimmt’s.“
Den quirligen Pudel hat Marika von ihrer Mutter geerbt. Die Mutter wusste Jahrzehnte lang nichts über ihre eigene Herkunft. Erst kurz vor ihrem Tod erklärte sie sich nach langem Bitten bereit, ihrer Tochter vor der Kamera von ihrem Leben zu erzählen. „Roma Memento. Zukunft ungewiss?“ hat Marika den Film über ihre Mutter genannt. Margit Schmiedt, die Mutter, geboren 1938 in Graz, wurde von einer Pflegefamilie in die andere geschoben und landete schließlich in einem Kinderheim.
„Die Margit, die ist nicht schön – die ist dunkel!“, sagten die österreichischen Heimschwestern. „Die Margit wird das Schneewittchen nicht spielen, auf keinen Fall!“ Die Heimkinder hätten sie auf der Stelle als Prinzessin in den gläsernen Theatersarg gelegt – sie bewunderten ihr langes, schwarzes Haar.
Der Film als letztes Geschenk
Nun, im Alter, erscheint die Mutter in Marikas Film als elegante Dame mit rotblond gefärbtem Kurzhaarschnitt, die nachdenklich und traurig von der Härte ihrer Kindheit erzählt: „Hunger und Schläge. Das war’s. Und i hab nie was g’kriegt, wenn’s Geschenke gab. Oder die Pfingstrosen! Da hob i immer allein gesessen und hob gedacht, warum krieg i immer – nix?“
Weitere Informationen zu Filmen und Ausstellungen der Künstlerin gibt es unter: http://marikaschmiedt.wordpress.com
Die Ausstellung: „Was bleibt. Fragmente einer fortwährenden Vergangenheit“ wird vom 12.02. - 12.03.2015 im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes in Wien gezeigt.
„Roma Memento“ ist auch ein letztes Geschenk. Auf dem Totenbett zeigt Marika ihre Mutter, nur eine Sekunde lang, als das echte Schneewittchen, die Haare wieder ungefärbt, schwarz, das fein geschnittene Gesicht von so tiefer Trauer gezeichnet, dass man unwillkürlich den Film zurückspulen möchte – was für ein schönes Gesicht! Auf dem Leichentuch liegen Rosenblätter verstreut.
Die Mutter ihrer Mutter starb im KZ Ravensbrück. Eine Cousine, Maria Berger, war dort gemeinsam mit ihr interniert, sie überlebt das Lager. „Ich hab zwei Mütter gehabt“, sagt Marika Schmiedt. „Meine Mama wollte immer ein richtiges Mädchen aus mir machen, Zöpfe flechten und so weiter. Sie hat mir gesagt: Pass dich an! Fall nicht auf, es ist besser so. Und Maria, der konnt ich’s gar nicht wild genug treiben: Du musst dich wehren, Kind! Wehr dich!“
Marika wird Künstlerin, sie malt. Im Jahr 1999 beschließt sie, auf die Suche zu gehen nach der Geschichte ihrer ermordeten Familie. Seitdem malt sie nicht mehr. Sie sucht nach einem neuen Medium für das, was sie erzählen will. Und findet zum Film. „Es gab kein einziges Foto von meiner Großmutter. Nichts.“ Eine Odyssee beginnt durch die österreichischen und deutschen Amtsstuben, Archive und Aktenberge der ehemaligen Konzentrationslager. Und Marika filmt alle Antworten.
Kommen Sie mit ihrer Urgroßmutter
„I mach jetz aber grad die Post!“, sagt eine Amtsdame in Klosterneuburg. „Können’s bitte später wiederkommen mit ihrer … Urgroßmutter?“
In ihrem Buch „Was bleibt. Fragmente einer fortwährenden Vergangenheit“ dokumentiert Marika Schmiedt einige ihrer Fundstücke aus den Archiven der Nazibürokratie und der Presse. Am 25. Februar 1939 schrieb der St. Pöltner Anzeiger, die Heimatzeitung ihrer Familie: „Die Zigeuner werden von ihren Erbanlagen gezwungen, gemeinschaftsfeindlich zu handeln. Einzige Lösung: Ausmerzung.“
Marikas Urgroßvater, der Pferdehändler Franz Berger, wohnhaft in St. Pölten, stirbt 1940 im KZ Buchenwald. Die meisten ihrer Familienmitglieder überleben die KZ-Haft nicht. Nach langer Suche erhält sie endlich auch die aktenkundige Bestätigung, dass ihre Großmutter am 8. Juni 1942 im KZ Ravensbrück gestorben ist.
Im März 2000 schreibt ihr das Bundesarchiv Berlin: „Im Bestand R 165 ’Rassenhygienische und kriminalbiologische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes‘ unter der Rubrik ’zigeunerartige Frauen und Männer‘ konnten zwei kleine Porträtfotos (in Profil und Frontalform) ihrer Großmutter Amalia Horvath aufgefunden werden.“ Falls sie „eine Papierkopie der Fotos möchte“, so möge sie bitte „die Formulare des Benutzungsantrages“ ausfüllen und „einen Abstammungsnachweis beilegen“.
Verzweiflung über die deutsche Bürokratie
Möchte man da nicht verzweifeln an dieser unsterblichen, ewigen deutschen Bürokratie? „Ja, sicher. Aber ich sehe mich als eine Chronistin meiner Zeit. Ich muss das einfach tun. Das ist meine Pflicht.“
Nun hängen die beiden einzigen Bilder der Großmutter, die Fotos aus Ravensbrück, an der Wand ihres Wohnzimmers. Davor steht eine große Kerze. „Ich fühle mich sehr verbunden mit meinen Toten. Meine Mutter ist auch da. Da!“ Erst jetzt sehe ich, dass ich seit einer Stunde neben einer Urne sitze.
Im Jahr 2010 hat sie die Asche ihrer Mutter auf einer Waldlichtung in Linz verstreut. „Aber ein bisschen Asche wollte ich behalten.“
Wie haben die Roma auf ihre Suche nach der Vergangenheit reagiert? „Das war schwierig. Es gibt so viel Angst und so wenig politisches Bewusstsein unter den Roma. ,Du störst die Totenruhe‘, haben sie gesagt. ,Lass die Toten in Frieden!‘ Es wird zu wenig reflektiert – auch das Patriarchat wird überhaupt nicht infrage gestellt. Ich dokumentiere vier Generationen von Roma. Mich eingeschlossen. Und allen ging es g’schissen. Mir geht’s auch g’schissen. Trotzdem, ich hab noch das beste Leben von allen.“
Plakataktion als Antwort auf die Lebensverhältnisse
In Osteuropa, vor allem in Ungarn, geht es für viele Roma wieder um das nackte Überleben. Nationalistische Mobs machen Jagd auf Roma, steckten ihre Häuser in Brand und haben einige von ihnen erschossen, wie Vieh.
Marika Schmiedt antwortete im Jahr 2012 mit einer Plakataktion in Linz unter dem Titel „Die Gedanken sind frei“. Auf dem Cover des Katalogs ein verstörendes Foto: ein Selbstporträt mit Hitlerbärtchen und der Aufschrift „Roma Integration“. Die Plakatausstellung wird eröffnet mit lobenden Worten des Kulturbeauftragten – man muss nun endlich hinsehen! – und dann bricht ein Sturm der Entrüstung los.
Der Botschafter von Ungarn sieht „Rassismus gegen Ungarn“, weil einige der Plakate die neuen Pogrome der ungarischen Glatzkopffaschisten an den Pranger stellen und die Täter in ihrer ganzen hasserfüllten Brutalität zeigen, mit all ihren Nazi-Insignien.
Andere Collagen entlarven in ihrer polemischen Überspitzung alltägliche Umgangsweisen als die Zumutungen, die sie tatsächlich sind: Ein slowakischer Bürgermeister wurde nicht mehr Herr der Hundeplage in „seiner“ Stadt Druzstevnej und verlangte allen Ernstes von den Roma, sie mögen doch die herumstreunenden Hunde bitte einfach aufessen. Auf dem Plakat „Zigeuner sollen Hunde essen“ liegen angebratene Hundekadaver auf einem Gartengrill.
Inspiriert von John Heartfield
Marika Schmiedt hat viel Inspiration gefunden bei John Heartfield, dem Meister der politischen und antifaschistischen Collage des 20. Jahrhunderts. „Warum wollen sie uns essen?“, fragt sie auf einem Plakat mit der Reproduktion der immer noch beliebten Werbung für „Zigeunersoße“.
Nach zwei Tagen werden die Plakate abgerissen; die Polizei behauptet, mit Einverständnis der Künstlerin. Zu allem Hohn wird Anzeige gegen sie erstattet: strafbare Verwendung von volksverhetzenden Symbolen. Inzwischen wurde die Anzeige zurückgezogen. Aber was war das für ein ekelhaftes Possenspiel? Nein, schreien die ungarischen Nationalisten: „Diese Plakate sind ekelhaft!“
Marika wählte ein Zitat von Nietzsche als Motto für ihre Ausstellung: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.“ Aber ist die Kunst nicht immer nur ein ganz kleiner Tropfen auf einen verdammt heißen Stein? Marika lacht. „Besser als ’n Stein am Schädel. Oder?“
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