■ QUERBILD: Verführerischer Mond
Rotes Kornfeld, Leben!, Rote Laterne, so hießen die chinesischen Filme, die vor einigen Jahren in einer, so scheint es im Rückblick, einzigen großen Welle die europäischen und amerikanischen Kinos eroberten. Ein stilsicherer Kunstwille verband sich in ihnen mit politischen Aufbruchsbewegungen, und ein Film stach dabei besonders hervor: Lebewohl, meine Konkubine von Chen Kaige. In einem weitgespannten epischen Bogen erzählte er von den Umbrüchen der chinesischen Geschichte. Und gerade, weil er sich dazu die Pekingoper, die wohl hermetischste Kunstform Chinas, ausgesucht hatte, glühte er dabei von innerer Wahrhaftigkeit.
Von Chen Kaiges neuem Film Verführerischer Mond, der im vergangenen Jahr in Cannes eher mal durchgefallen war und sodann noch einmal umgeschnitten wurde, läßt sich das nicht behaupten. Er hat andere Qualitäten. Fast sieht es so aus, als habe sich Chen Kaige hier einem gleichsam wildgewordenen Kunstanspruch zugewandt. Ästhetizisten finden hier jedenfalls alles, was sie brauchen. Es gibt eine Kamera, die, während sie Opiumräusche filmt – wir befinden uns im China der zwanziger Jahre – selbst in einen Rausch gerät (Kamera: Christopher Doyle, der auch die Wong Kar-wai-Filme zu waghalsigen Sehabenteuern macht). Es gibt Szenen, die in der Mondstimmung über Lotusblütenteichen schwelgen, und andere Szenen, die das mit dem harten Licht Schanghaier Ballsäle kontrastieren. Es gibt harte Schnitte, gewagte Übergänge – alles, was das Cineastenherz begehrt.
Was es nicht gibt, das ist eine eindeutige Geschichte. Verführerischer Mond ist ebensosehr ein psychologisches ausgefeiltes Melodram, ein Film über die Schrecken der Lüste und die Unmöglichkeit der Liebe, wie eine Parabel über eine Zeitenwende: als die alten Feudalherren in China ihre Macht verloren. All das wollte Chen Kaige in seine Bilder pressen, und es mag wohl sein, daß er damit zuviel wollte. Wenn der Film aber gescheitert ist, dann auf einem Niveau, von dem andere Filmemacher noch nicht einmal gehört haben. Dennoch: Lebewohl, meine Konkubine habe ich lieber gesehen. Dirk Knipphals
Abaton
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