Verführen nach Anleitung: Die Abschleppspezialisten
Sie können jede haben: Auf einer Konferenz in Aachen beraten 300 Verführungskünstler, wie sie sich und ihre Technik optimieren können, fremde Frauen ins Bett zu bekommen.
Die zwei Experten sind sich einig. "Ich habe ja nicht nur Sex mit dem Körper der Frau, sondern auch mit der Persönlichkeit der Frau", sagt Skull. Alexandru nickt und ergänzt: "Mit der Seele." Skull wiederholt: "Mit der Seele." Das Wort gleitet über die Lippen und breitet sich im Saal aus. Tief in ihre Konferenzstühle versunken sitzen Skull und Alexandru auf der Bühne, die Beine weit ausgestreckt. Skull schickt dem großen Wort eine Erklärung hinterher. Ein flüchtiger One-Night-Stand bringe dich nun einmal nicht dem Wesen einer Frau näher. "Harem ist darum das Beste, was man machen kann. Du erweiterst deine sozialen Kompetenzen."
Die selbsternannten Abschlepp-Profis kommunizieren in Foren und auf Kongressen in einem eigenen Jargon. Einige weitere Schlüsselbegriffe.
AA: Approach Anxiety, zu Deutsch: Ansprechangst. Soll mit Psychotechniken wie der neurolinguistischen Programmierung in den Griff zu bekommen sein.
AFC: Average Frustrated Crump. Der frustrierte Durchschnittstyp ohne Erfolg bei Frauen.
ASD: Anti-Slut-Defense. Weibliche Verhaltensweisen mit dem Ziel, sich nicht wie eine Schlampe zu fühlen.
Boyfriend Destroyer: ein gewiefter Spruch, mit dem der Abschlepp-Profi den Hinweis der Frau zurückweist, sie sei bereits vergeben.
Direct Game: Die Szene unterscheidet zwischen indirektem und direktem Anbaggern. Dass die Verführer ihre Treiben als Game, also als Spiel, bezeichnen, geht angeblich auf das Buch "The Game" zurück, in dem der Journalist Neil Strauss seinen Weg vom AFC zum Verführungsprofi beschreibt. Das Buch gilt als Bibel der Szene.
Hot Babe: auch mit HB abgekürzt. Das Zielobjekt der Verführer, das je nach Attraktivität mit einem Rang belegt wird. Ein HB 10 ist das höchste aller Ziele.
Lay: Beischlaf.
LTR: Auch das kann vorkommen: Long Term Relationship (Langzeitbeziehung) mLTR: multiple Long Term Relationship, also zeitgleich geführte LTRs.
In einem fensterlosen Konferenzsaal in Aachen folgen knapp 300 junge Männer aus der ganzen Republik, viele Studenten und Schüler, den Ausführungen der Abschleppspezialisten. Eines müsse man verstehen, erklärt Tagungsleiter Skull: "Frauen sind sexuelle Wesen." Er stützt den Ellenbogen auf die Armlehne und schwingt den Zeigefinger in der Luft. "Frauen sind generell offen für mehrere Beziehungen." Warum soll man ihnen das verbieten? "Die Frauen zu zwingen, wie sie sich verhalten sollen, hat sehr viel Leid über unsere Gesellschaft gebracht."
Skull heißt eigentlich David Roth, studiert Medizin in Köln und leitet die Academy of Social Arts, die mit ihren Kursen jeden zu einem Mann mit Optionen zu machen verspricht. "Pick-up" nennt sich dieses zum Lebensstil erhobene und methodisch perfektionierte Anbaggern. Minutiös optimieren die Abschleppkünstler ihre Techniken, protokollieren in Internettagebüchern ihre Eroberungen und organisieren sich in lokalen Gruppen. Die Ausweitung der Kampfzone kommt mit einem eigenen Jargon daher: "Streetgame" heißt das Ansprechen auf der Straße, "Clubgame" das im Club. "HB" steht für "Hotbabe", eine Nummer gibt den Attraktivitätsgrad an. Ein "Kiss Close", ein Kuss, ist respektabel. Ein "Fuck Close" mit einem HB 10 ist wohl ein höheres Level. Oft gilt es dabei, zuvor die "LMR", die "Last Minute Resistance" der Frau, geschickt zu überwinden. Man erwartet fast, dass als Nächstes jemand erklärt, man müsse nur noch Steuerung und A drücken.
Pascal Levin alias Xatrix hat das schwarze Haar nach hinten gekämmt, trägt eine modische Strickweste und spricht gediegen. Der Psychologiestudent referiert über die Ansprechangst. Was ist los mit uns? Pascal geht langsam auf und ab, mit der Fernbedienung für die Power-Point-Präsentation in der Hand. Er sagt: Unsere Mannwerdung ist nicht abgeschlossen. Er sagt: Unsere schlechten Erfahrungen mit Frauen blockieren uns. Aus dem Publikum kommt eine Zwischenfrage: "Stellst du die Folien ins Netz?"
Punkt für Punkt erscheinen die Probleme auf der Leinwand. "Die Erziehung ist heute größtenteils weiblich begleitet", sagt Pascal. "Um Ziele zu erreichen, braucht ihr aber positive männliche Aggression." Er bittet einen Freiwilligen nach vorne.
Energie von den Ahnen
"Wie heißt du?", fragt Pascal. "Michael." Er bittet Michael, die Augen zu schließen, und beginnt mit einer Art Meditation. "Stell dir vor, der Kreis, in dem du stehst, steht für die ganze männliche Energie deiner Ahnenreihe", sagt Pascal. "Nimm dir so viel Energie, wie du magst." In Hüfthöhe macht Michael eine Pumpbewegung mit der linken Hand. Schließlich ballt er die Hände zu Fäusten und nickt. Michael ist bereit. Pascal führt ihn ein paar Schritte vor, in die Vergangenheit hinein. "Letzten Freitag wollte ich eine kissclosen." Michael stockt. "Und?", fragt Pascal mit seiner warmen, verständnisvollen Stimme. "Was ist passiert?" - "Abgeblockt."
Er bittet Michael, sich die Situation noch einmal vorzustellen und sie mit einer guten Erinnerung zu überschreiben. "Ich steh vor ihr, ich pack sie. Sie fängt an zu schreien." Michael lächelt. Einige im Publikum nicken.
Den meisten ist die Angst vertraut, übrig zu bleiben. In der Pause zwischen den Vorträgen berichtet einer, wie seine heimliche Liebe es vor seinen Augen mit einem anderen machte. Ein anderer Tagungsteilnehmer bezeichnet "Pick-up" als seine allerletzte Chance. Man möchte es kaum glauben, schließlich wirken die meisten eher wie nette Jungen aus gutem Hause und nicht wie hoffnungslose Fälle. Konferenzbesucher Philipp, 19 Jahre, verschmitztes Gesicht, räsoniert. Er formt Zeigefinger und Daumen zu einem Kreis, um den Punkt hervorzuheben. Der Wehrdienstleistende spricht von der Emanzipation, der sexuellen Befreiung der Frau. "Ich glaube, dabei ist Folgendes passiert", sagt er. "Die Männerwelt wurde gesplittet. 50 Prozent waren jetzt die Traummänner. Die anderen 50 Prozent sind durchs Gitter gefallen." Er lässt den Blick nachdenklich durch den Saal schweifen. "Viele hier haben sehr frustrierende Jahre hinter sich."
Vor einem knappen Jahr hat Philipp ein Intensivtraining besucht. Der Coach hat den Jungs auf der Kölner Schildergasse vorgemacht, wie man Frauen stoppt und in ein Gespräch verwickelt. Dann waren die Teilnehmer an der Reihe. Meistens ging es schief, erinnert sich Philipp, aber einmal klappte es. Es waren Zwillinge, die er in der Fußgängerzone stoppte. "Hi, ihr seid doch sicher aus Köln. Wir wollen heute Abend weggehen, könnt ihr nicht was empfehlen?" Am Ende haben sie Philipp ihre Telefonnummer gegeben, obwohl der Coach längst danebenstand und sich Notizen machte.
Männer müssen führen
Eines hat er dabei gelernt, sagt Philipp: dass Männer führen müssen. "Mich nett unterhalten, aber nicht aufzudrängen", sagt Philipp, "diesen Anfängerfehler habe ich danach nicht mehr gemacht." Gut 600 Euro hat der zweitägige Kurs damals gekostet. Drei Wochen später hatte Philipp eine Freundin, seine erste. Oliver Walton alias Groom schmatzt zwischen seinen Sätzen so laut ins Mikro, dass man Absicht unterstellen könnte. Das Thema: "Wie man den ,Lay' durch perfektes Küssen einleiten kann."
"Lay" ist auch ein Terminus technicus und steht für Beischlaf. Grooms Vortrag richtet sich an die Fortgeschrittenen im Game. "Ich rate davon ab, auf dem Weg vom Date nach Hause zu küssen. Warum?" - "Weil sie an die Folgen denkt", ruft jemand. "Genau", sagt Groom. "Sie will ja eigentlich, aber sie will nicht daran erinnert werden." Er hebt eine Augenbraue und schmatzt. "Psychologie der Frau." Groom stemmt die Hand in die Hüfte, die Armbanduhr glitzert im Scheinwerferlicht. "Ihr könnt mit Küssen konditionieren. Das ist wie mit der Glocke und dem Futter. Pawlow. Kennt ihr doch, oder?" Er blickt umher. "Wenn die Frau Probleme bei der Eskalation zeigt, hört ihr einfach mit dem Küssen auf." Einer im Publikum greift eilig nach Papier und Kugelschreiber und nuschelt beim Notieren: "Ja, geil."
Ein paar "Tools" sind sicher hilfreich, findet Tagungsbesucher Philipp. Aber man überdreht schnell. In den Vorträgen klingt oft die Sorge durch, mit der Ansprechangst auch alle anderen Empfindungen zu verlieren und vor lauter neurolinguistischer Programmierung zum Roboter zu mutieren. Viele hier berichten davon, wie schnell sich zwischen den kühlen Fachbegriffen Depression auftut, die innere Leere nach den ersten Erfolgen im "Game". Auf den Gängen wird diskutiert, wie man diesen so genannten "Downstate" wieder wegkriegt. 21 Uhr. Nach elf Stunden Konferenz riecht die Luft verbraucht, Brötchentüten und leere Kaffeebecher haben sich unter den Stühlen gesammelt. Der Stargast hinkt auf die Bühne, eigens angereist aus Kroatien. Im Bürgerkrieg auf dem Balkan wurde Danijel Nesse alias Badboy schwer verwundet. Und stark gemacht, wie er immer betont. International hat er angeblich mit hunderten Frauen geschlafen, darunter auch Models.
Ein Guru aus Kroatien
Der Guru trägt eine schwarze Baskenmütze auf dem kahlgeschorenen Kopf und eine braune Lederjacke. Die rechte Hand hat er beim Sprechen tief in der Hosentasche vergraben. Mit der linken unterstreicht er in umso größeren Gesten die schneidenden Sätze. Er erklärt, wie man im Handy Telefonnummern verwaltet. Eindeutig verschlagworten: fuck body, future-ex-girlfriend, marriage material, etc. Fickbeziehung, künftige Ex, Material für die Ehe, etc. Er gibt Instruktionen fürs Date. Erst Café, dann Kino, dann Sex. Sex immer erst beim zweiten Treffen. Alles andere ist unprofessionell.
Zwei Männer im Publikum erinnern sich an das Referat zum selben Thema. "Was der da sagt", raunt der eine dem anderen zu, "widerspricht ja genau dem von heute Mittag." Als Badboy seine Vision ausspricht, wird es ruhig im Saal. "We are all connected with one energy", sagt Badboy. Eine Energie verbindet alle Menschen. Man muss sie nur verstehen, eine Technik entwickeln, sie beherrschen. Vielleicht, meint Badboy, wisse er schon bald, wie man Frauen rumkriegt, ohne überhaupt ein Wort zu sprechen. "Pure energy." Er hebt den Finger, die andere Hand vergraben in der Hosentasche. "Thats the future of pick-up."
Der Applaus will nicht enden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Mindestlohn feiert 10-jähriges Jubiläum
Deutschland doch nicht untergegangen