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wir lassen lesenVerfolgt und vergessen: Der Läufer Otto Peltzer

Ein seltsamer Ketzer

„Dr. Peltzer besiegt Wunderläufer Paavo Nurmi.“ So lautete die Schlagzeile in allen Berliner Zeitungen, nachdem am 11. September 1926 Dr. Otto Peltzer als Mittelstreckenläufer über 1.500 Meter in Berlin den größten Erfolg seiner sportlichen Karriere gefeiert hatte: Vor 30.000 Zuschauern im Stadion Charlottenburg rannte er dem sechsfachen finnischen Olympiasieger Paavo Nurmi davon. Dieser Sieg, bei dem Peltzer einen neuen Weltrekord aufstellte, war ein großes Ereignis für das noch von den Folgen des Ersten Weltkriegs gezeichnete Deutschland der 20er-Jahre. Die Zuschauer im Stadion, darunter Bertolt Brecht und Georg Grosz, standen von ihren Plätzen auf und stimmten spontan das Deutschlandlied an.

Peltzer verschaffte der Weimarer Republik im internationalen Sport wieder Respekt und vertrat sein Land als fairer und edler „Sportbeauftragter“. Er war einer der wenigen internationalen Sportstars der „Goldenen Zwanziger“ und erreichte sogar als Werbeträger in einem Werbespot für Kaffee erhöhte Aufmerksamkeitswerte. Wegen seiner Marotten, wie etwa die, bei jedem Start zum Abbau der Nervosität erst mal einen Fehlstart zu provozieren, wurde er in der Presse auch „Otto der Seltsame“ getauft.

Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus ging der Stern des Dr. Otto Peltzer unter: Der promovierte Läufer, Mitglied der Berliner Studentenverbindung „Verein Deutscher Studenten“ wurde von den Nazis wegen seiner Homosexualität unter Druck gesetzt und durfte nicht mehr starten. Nachdem er einige Jahre in Schweden Exil fand, wurde er ins KZ Mauthausen verschleppt, das er wohl auch dank seiner sportlichen Ausbildung überlebte.

Nach dem Krieg verhinderten alte Seilschaften, dass Peltzer ein Amt im deutschen Sport bekam; Leichtathletik-Bundestrainer etwa oder auch Rektor der Sporthochschule Köln. Für diesen Posten war der schon im Nazideutschland als Sportfunktionär tätige Carl Diem vorgesehen. Resigniert ging Peltzer nach Indien, wo er Nationalcoach wurde und wo es noch heute zu Ehren des „Doc“ alljährlich einen Otto-Peltzer-Lauf gibt.

Erst 1998 wurde der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) auf Otto Peltzer aufmerksam, der 1970 in Holstein, auf dem Rückweg vom Sportplatz, gestorben ist. Der Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens rief den promovierten Läufer, Lehrer und Publizisten in einer Rede vor dem DLV in Erinnerung und forderte, dass dieser „liebenswerte Ketzer in den eigenen Reihen“ nun endlich heimgeholt werden sollte. Inzwischen gibt es (neben dem „Carl-Diem-Schild“) eine „Otto-Peltzer-Medaille“, die noch auf einen würdigen Träger wartet. Bis dieser gefunden ist, empfiehlt sich das Buch von Volker Kluge, das die Wartezeit mit einer gut recherchierten und spannend erzählten Geschichte verkürzt. MAX F. RUPPERT

Volker Kluge: „Otto der Seltsame. Die Einsamkeit eines Mittelstreckenläufers. Otto Peltzer (1900 – 1970)“. Parthas-Verlag, Berlin, 2000, 165 Seiten

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