Verfassungsgericht zu ESM: Eine Frage des Risikos
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über Eilanträge gegen den Eurorettungsschirm. Kritiker sagen, es gehe um die Souveränität Deutschlands.
FREIBURG taz | Steht in Deutschland die Demokratie und die Eigenstaatlichkeit auf dem Spiel? Das wird das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch entscheiden. Um 10 Uhr wird es sein Urteil zum Eurorettungsschirm ESM und zum Fiskalpakt verkünden.
Der Rettungsschirm war die Reaktion der Eurostaaten auf die teilweise überhöhten Risikoaufschläge der Finanzmärkte. Nicht nur ein überschuldetes Land wie Griechenland, sondern auch Staaten wie Irland, Portugal, Spanien und Italien haben derzeit Probleme, neue Schulden zu akzeptablen Zinsen aufzunehmen.
Deshalb wurde schon 2010 der vorläufige Rettungsschirm EFSF gegründet, der jetzt durch den dauerhaften Rettungsschirm ESM abgelöst werden soll. Der ESM (die Abkürzung steht für Europäischer Stabilitätsmechanismus) ist eine Art Bank, die den betroffenen Staaten Kredite zu günstigen Zinsen oder Kreditgarantien gibt.
Als Gegenleistung verpflichten sich die begünstigten Staaten zu Strukturreformen, die sicherstellen sollen, dass die Hilfe vorübergehend bleibt. Wie die Auflagen aussehen, steht nicht im ESM-Vertrag. Als finanzielle Grundlage müssen die 17 Eurostaaten in den ESM 80 Milliarden Euro einzahlen, weitere 620 Milliarden Euro kann der Fonds abrufen.
Europa wartet auf das Verfassungsgericht
Insgesamt entsteht für die Eurostaaten somit ein Haftungsrisiko von 700 Milliarden Euro – falls alle Kredite nicht zurückgezahlt werden. Da Deutschland mit 27 Prozent beteiligt ist, beträgt das maximale deutsche Risiko laut Vertrag 190 Milliarden Euro. Idealerweise werden alle Kredite mit Zinsen zurückgezahlt, hofft die Bundesregierung.
Bundestag und Bundesrat haben dem ESM-Vertrag Ende Juni mit großen Mehrheiten zugestimmt. Wegen der anhängigen Klagen hat der Bundespräsident die Ratifikationsurkunde aber noch nicht unterzeichnet. Ganz Europa wartet nun auf Deutschland und sein Verfassungsgericht.
Die wichtigsten Kläger sind der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, die Bundestagsfraktion der Linken, eine Gruppe konservativer Professoren und der Verein „Mehr Demokratie“, dessen Klage von rund 37 000 Bürgern unterstützt wurde.
Sie alle befürchten, dass der Bundestag hier unverantwortlich große Risiken eingegangen ist. Am Ende müsse Deutschland möglicherweise allein für mehr als 700 Milliarden Euro aufkommen – unter ungünstigen Umständen, bei exzessiver Vertragsauslegung und nach zielgerichteten Rechtsbrüchen der ESM-Gremien. In diesem dramatischen Szenario gehe die Gestaltungsmacht des Bundestags auf lange Zeit verloren und damit auch die Demokratie in Deutschland.
Klagen werden abgewiesen
Selbst wenn es nicht ganz so drastisch endet, so die Kläger, werde mit dem ESM-Vertrag aber doch eine Haftungs- und Transferunion geschaffen, die aus der EU faktisch einen Bundesstaat mache und zugleich die souveräne deutsche Staatlichkeit beende.
Dieser Schritt sei aber mit dem Grundgesetz nicht machbar. Er dürfe nur realisiert werden, wenn das deutsche Volk vorher in einer Volksabstimmung einer neuen deutschen Verfassung zustimmt – die dann eine europaweite Haftungsunion ausdrücklich zulässt.
Schon nach der mündlichen Verhandlung Anfang Juli war klar, dass die Klagen im Kern abgelehnt werden. Die Richter erinnerten an ihre Entscheidung zum vorläufigen Rettungsschirm EFSF aus dem September 2011.
Damals überließen sie dem Bundestag die politische Entscheidung, welche Haftungsrisiken er eingehen will, um Schaden von Europa und Deutschland abzuwenden. Voraussetzung sei aber, dass der Bundestag alle Entscheidungen mit großer Haushaltsrelevanz selbst treffen müsse.
190 Milliarden Euro Haftungsgrenze
Die Schreckensszenarien der Kläger mit einer deutschen Haftung von über 700 Milliarden Euro bezeichnete Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, als „konstruiert“. Es sei nicht anzunehmen, dass der deutsche Finanzminister den Bundestag hintergehe, nur weil ihm der ESM-Vertrag Immunität zusichere, sagte er in der Verhandlung.
Die Bundesregierung hatte damals allerdings ein Angebot gemacht. Bei der Ratifikation des ESM-Vertrags könnte ein Vorbehalt erklärt werden, dass die Haftungsgrenze für Deutschland auf jeden Fall bei 190 Milliarden Euro bleibe. Es liegt nahe, dass die Richter dieses Angebot aufgreifen und einen derartigen Vorbehalt als Bedingung für die Ratifikation fordern.
Spannend bleibt aber noch, ob das Gericht Andeutungen macht, ab wann weitere Integrationsschritte mit dem Grundgesetz nicht mehr möglich sind. Auch auf mögliche Bemerkungen zum Anleihe-Ankauf durch die Europäische Zentralbank wird geachtet werden – vor allem nachdem Kläger Gauweiler dies in einem weiteren Eilantrag kritisiert hatte. Das EZB-Programm hat zugleich auch die Bedeutung des ESM-Rettungsschirms als Haupthilfsmittel für Krisenstaaten relativiert.
Entscheidung kann ein Jahr dauern
Formal wird das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch zunächst nur über die Eilanträge der Kläger entscheiden. Sie hatten verlangt, dass die Ratifikation des ESM-Vertrags unterbleibt, bis Karlsruhe in der Hauptsache entscheidet – was noch ein Jahr dauern kann. Um Europa aber möglichst schnell Klarheit zu verschaffen, haben die Richter diesmal ausnahmsweise schon im Eilverfahren die Vorwürfe grob geprüft.
Entscheiden wird Karlsruhe am Mittwoch auch über die Anträge gegen den Fiskalpakt. In diesem Vertrag verpflichteten sich fast alle EU-Staaten, eine nationale Schuldenbremse nach deutschem Vorbild einzuführen. Die Kritiker meinen, es sei undemokratisch, wenn Deutschland die Pflicht zu ausgeglichenen Haushalten nie wieder abschaffen könne.
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