Verfassungsgericht zu Altanschließern: Jede Menge Abwasser im Rechtsstaat

Karlsruhe beendet den langen Rechtsstreit mit „Altanschließern“ in Ostdeutschland. Es geht um überdimensionierte Kläranlagen – und viel Geld.

Kläranlage aus der Luft fotografiert.

Nach dieser Gerichtsentscheidung denk so macher verdammte Sch... Foto: Becke&Bredel/imago

Freiburg taz | Zehntausende Grundstückseigentümer in Ostdeutschland müssen die Hoffnung aufgeben, die aus ihrer Sicht illegitimen Kosten für den Anschluss an Wasser- und Abwasserversorgung zurückzubekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Musterfall eine entsprechende Klage abgewiesen.

In Ostdeutschland kennt man das Problem als „Altanschließer“-Problematik. Doch der inzwischen jahrzehntelange Rechtsstreit ist so kompliziert, dass ihn kaum noch jemand versteht – und die neue Karlsruher Entscheidung dürfte die Akzeptanz bei den Betroffenen nicht erhöht haben.

Das Problem entstand, als nach der Wende in Brandenburg zu viele und zu groß dimensionierte Kläranlagen gebaut wurden. Weil Brandenburg dünn besiedelt ist, verlangten die Abwasserverbände von den Grundstückseigentümern nun Anschlusskosten in Höhe von teilweise mehreren Tausend Euro. Eigentümer, die schon zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen waren – die sogenannten Altanschließer –, wollten deshalb für die neuen Anlagen nicht zahlen.

Es gab lange Gerichtsverfahren. Die meisten Satzungen der Abwasserverbände wurden für unwirksam erklärt. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Brandenburg waren deshalb im Jahr 2000 viele Kostenbescheide verjährt.

„Für die Bürger nur schwer zu verstehen“

In dieser verfahrenen Situation beschloss der Brandenburger Landtag 2003 eine hoch umstrittene Änderung des Kommunalabgabengesetzes (KAG). Folge: Viele Kostenbescheide galten nun doch nicht als verjährt. 2015 dann entschied das Bundesverfassungsgericht, die KAG-Änderung führe zu einer rechtsstaatlich unzulässigen Rückwirkung.

Nach dem Karlsruher Beschluss von 2015 erhielten aber nur diejenigen ihre Beiträge zurück, die bis zuletzt Widerspruch eingelegt und geklagt hatten. Die anderen gingen leer aus. Deshalb klagten diese nun auf Schadensersatz gegen die Abwasserverbände. Laut TV-Sender rbb umfassten beide Gruppen rund 80.000 Personen.

Im Juni 2019 kam der Bundesgerichtshof (BGH) dann zu dem völlig überraschenden Ergebnis, dass die Kostenbescheide doch nicht verjährt waren und die problematisch-rückwirkende KAG-Änderung völlig unnötig war. Dem folgte im November 2019 das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg und lehnte deshalb den Anspruch der verbliebenen Altanschließer auf Rückzahlung ihrer geleisteten Beiträge ab.

Natürlich riefen die Betroffenen wieder das Bundesverfassungsgericht an – diesmal aber ohne Erfolg. Es sei zwar für die Bürger nur schwer zu verstehen, aber bei der Frage, ob ein Beitragsbescheid verjährt sei oder nicht, könnten OVG und OLG Brandenburg durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das sei eben die Folge davon, dass Richter im Rechtsstaat unabhängig sind. Beide Ergebnisse seien auch methodisch vertretbar, weshalb keine Willkür vorliege. Damit scheint der Prozess nun endgültig zu Ende zu sein.

Immerhin sorgten die Richter in einer Teilfrage für Klarheit. So müsse die Beitragserhebung spätesten 25 Jahre nach dem Anschluss an Wasser- und Abwasserversorgung beginnen. Die kommunalen Zweckverbände haben also nicht unendlich viel Zeit. (Az.:1 BvR 2838/19)

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