piwik no script img

Verdienstkreuz für Gastarbeiter AnneseDer Zusammenschweißer aus Italien

Bei VW hat Lorenzo Annese sich 1958 reingetrickst, später wurde er der erste ausländische Betriebsrat. Auch mit 87 tritt er für ein offenes Land ein.

Für sein Engagement verlieh Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Lorenzo Annese am Dienstag das Bundesverdienstkreuz Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Hamburg taz | „Der Deutsche“, das sei er in Italien schon immer gewesen, erzählt Lorenzo Annese, „immer pünktlich“. 1958 kam er dann als junger Mann aus Apulien nach Niedersachsen. Heute gilt er als erster Gastarbeiter, der in der Bundesrepublik offiziell registriert wurde. Am Montag bekam er im Berliner Schloss Bellevue das Bundesverdienstkreuz.

Annese wollte der Armut seiner Heimat entfliehen und fand ein neues Zuhause in einem Dorf unweit von Wolfsburg. An seinem zweiten Abend in Deutschland lernte er im strömenden Regen seine Frau Frieda kennen – im Schutz einer Eiche. Unweit des Baumes bauten sie später ein Haus, in dem sie bis heute wohnen – und in dem Lorenzo gern Cantuccini backt.

In Deutschland, sagt er, habe sein Verhalten nun mal gepasst. Pünktlichkeit habe hier den Stellenwert, den sie verdiene. Gastarbeiter hingegen leider nicht. Prekäre Lebensumstände, niedrige Löhne und gesellschaftlicher Missmut hätten vielen Ar­bei­te­r*in­nen das Leben schwergemacht. „Ich wollte aber nicht kapitulieren, ich wollte durchziehen“, erinnert sich Lorenzo ­Annese stolz. Und das tat er auch.

Zu VW kam er durch einen Trick. Bei einer Betriebsführung schlich er sich weg, stellte sich in der Personalabteilung persönlich dem Chef vor und wurde mit den Satz „Ist ja nicht dumm, wa“ im August 1961 als Punktschweißer eingestellt. „Im Januar 1962 kamen die ersten Italiener“, sagt Annese. Er wurde von seiner Arbeit freigestellt und schweißte fortan nicht mehr Autos, sondern hielt als Betreuer deutsche und ausländische Kollegen zusammen.

Das Betriebsverfassungsgesetz wurde seinetwegen geändert

„Ich wollte ein bisschen die Integration vorantreiben“, sagt er. Bundesweit wurde Annese der erste ausländische Betriebsrat, kandidierte später bei der IG Metall. In den Sechzigerjahren durften „Ausländer nur wählen, nicht aber gewählt werden“, erzählt er. Eigentlich, denn er wurde trotzdem gewählt. Als er Vorsitzender des Auslandsausschusses der ­Gewerkschaft war, sah man sich später gezwungen, das Betriebsverfassungsgesetz zu ändern. Fortan durften Ausländer ganz offiziell in den Betriebsrat gewählt werden.

Als Verbindungsmann und Brückenbauer verteilte Annese mehrsprachige Informations­papiere von VW, versorgte trotz des leeren Wohnungsmarkts Neuankömmlinge mit Schlafplätzen und klärte sie über ihre Rechte auf. Er organisierte Weihnachtsfeiern und Tanzabende unter dem Motto „Wir arbeiten zusammen, wir leben zusammen, wir feiern zusammen!“. Die gibt es bis heute.

Der heute 87-Jährige engagierte sich in einer Zeit, die ein Wirtschaftswunder bereithielt, aber wenig Integrationswillen der Mehrheitsgesellschaft. Es habe sich zwar seither einiges geändert, aber das beruhigt ihn nicht. Politik, Unternehmer und Gewerkschaften müssten gemeinsam am Integrationsprozess arbeiten und mehr investieren, sagt er. „Integration kann keine Einbahnstraße sein“, man brauche sich gegenseitig. Deutschland profitiere schließlich von denen, die herkämen, genau so wie andersherum.

Auf den Rechtsdruck in Deutschland reagiert Lorenzo Annese mit Unverständnis. In diesem Sommer veranstaltete er eine Demonstration in Wolfsburg für ein offenes Land mit gerechten Chancen für jeden. Müde ist er nicht. Denn er wolle nicht zulassen, dass das kaputt gemacht werde, was so viele mit Schweiß und Blut aufgebaut hätten.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!