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Verblüffung von 42 Jahren

Wie immer gewinnen zwei Radlerinnen aus Litauen das Straßenrennen bei der Weltmeisterschaft, die Französin Jeannie Longo sorgt derweil mit Platz drei für Verwunderung bei der Fachwelt

aus Lissabon MARTIN KRAUSS

„Weltmeisterschaft ist’s immer dann, wenn am Ende eine Litauerin gewinnt.“ Bundestrainer Jochen Dornbusch machte sich erst gar nicht die Mühe, sich über den Ausgang des Frauen-Rennens bei der Rad-WM in Lissabon zu wundern. Warum auch? Schließlich gewann am Samstag zum dritten Mal in vier Jahren eine Litauerin den Wettbewerb auf der Straße. Diesmal war es die WM-Zweite von 1996, Rasa Polikeviciute, die vor der Weltmeisterin von 1999, Edita Pucinkaite, ebenfalls aus Litauen, ins Ziel kam. Gewundert hat sich Dornbusch auch nicht über den vierten Platz der von ihm betreuten Judith Arndt aus Frankfurt an der Oder. „Auch wenn es am Ende undankbar ist, aber vom Rennverlauf her betrachtet hat Judith ein super Rennen gemacht“, sagte der Bundestrainer vielmehr.

Ein Lob, das Arndt gar nicht nicht unbedingt hören wollte. „Ich habe da andere Ansprüche“, sagte die 25-Jährige nach dem Rennen und beschrieb diese denn auch sogleich: „Die Mannschaft hat so gut gearbeitet, da hätte mehr drin sein müssen. Nach der Parcours-Besichtigung hatte ich mir etwas ausgerechnet.“ Letztendlich aber konnte sich auch Judith Arndt nicht so recht über den litauischen Sieg wundern. „Es war doof, dass die Litauerinnen zu zweit waren und ich alleine“, benannte sie das am Ende vielleicht entscheidende Detail, das ihr zu zu einer Medaille gefehlt hatte.

Grund zur Verblüffung gab es dann aber doch noch, und zwar für alle Beteiligten. Eine Fahrerin, die am Ende Dritte wurde und Ende des Monats 43 wird, hatte die Fachwelt mal wieder in Erstaunen versetzt: Jeannie Longo aus Frankreich, die Lehrerin aus Grenoble, hatte sich nicht nur bereits den Titel im Zeitfahren geschnappt, sondern gab auch beim Straßenrennen die bestimmende Figur ab.

Mitte der siebten Runde, am Ende einer Steigung, startete Longo einen ersten Ausreißversuch, von dem sie zwar wieder eingefangen wurde, der aber immerhin das Feld sprengte und für eine Führungsgruppe sorgte. Erst waren es dreizehn Fahrerinnen, dann sieben – und immer war Longo vorne mit dabei. Keine vier Kilometer vor dem Ziel versuchte die Französin, sich erneut und ein letztes Mal abzusetzen, wiederum klebte ihr ein Restlein der Konkurrenz am Hinterrrad. „Wir kannten die Gefahr, die von ihr ausgeht“, gab die spätere Weltmeisterin Rasa Polikeviciute im Ziel zu, „deshalb beschlossen wir, ihr zu folgen.“

Jeannie Longo, die schon vor 16 Jahren erstmals Weltmeisterin wurde, blieb da nur das Fluchen. „Im Feld war zu viel Respekt“, bemerkte sie später. „Ich hatte einen harten Job.“ Der bestand in erster Linie darin, stets das Tempo machen zu müssen und schließlich, als ihr auch ganz am Ende die beiden Litauerinnen nicht vom Hinterrad weichen wollten, nochmals einen Gang höher zu schalten, um auch ihnen entwischen zu können. Zumindest das aber gelang der 42-Jährigen nicht mehr. Ganz knapp unterlag sie im Sprint, tröstete sich später aber mit der Tatsache, dass die beiden Litauerinnen „zu den fünf besten Fahrerinnen der Welt“ zählen“ und es da bestimmt keine Schande ist, gegen sie zu verlieren, auch wenn ihr Plan zunächst ein anderer war, trotz ihrer 42 Lebensjahre: „Vor einigen Wochen hatte ich das Gefühl, dass ich gut in Form bin und gewinnen kann“, sagte sie jedenfalls im Ziel.

Auch wenn es nicht ganz so kam, die Fachwelt verblüffte Jeannie Longo auch mit Rang drei allemal, auch Sylvia Schenk, Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), machte da keine Ausnahme. Schenk war früher Leichtathletin, nun grübelte sie darüber, „ob ich mit dem Präsidentenamt aufhöre und auch noch mal anfange“. Bundestrainer Dornbusch wollte das Phänomen Longo da schon etwas ernsthafter angehen. „Man kann nicht sagen, ob das gut ist oder schlecht für den Radsport, wenn eine 42-Jährige so weit vorne fährt“, analysierte er, derweil Litauens Weltmeisterin Polikeviciute Longo einfach nur ihre Anerkennung aussprach: „Ich muss mich bei ihr bedanken, dass sie so viel Führungsarbeit geleistet hat.“

Dank, den die Französin nur kurz darauf schon wieder zurückgab: Bei der Pressekonferenz half sie wie selbstverständlich ihrer im Spurt überlegenen Kollegin mit Vokabeln aus, wenn das Französisch der Litauerin stockte. In diesem Moment wirkte Jeannie Longo geradezu mütterlich. Vielleicht hat sie sich später darüber sogar selbst gewundert.

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