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Verbesserter Standortschutz

Der Canis Lupus wird zum Indikator sozialen und politischen Wandels: Während man in den osteuropäischen Staaten die Prämien für die getöteten Tiere erhöht, wartet der dreibeinige Wolf Iwan im Eberswalder Zoo darauf, dass die Arbeiten an seinem neuen Freigehege abgeschlossen werden

von HELMUT HÖGE

Dem dreibeinigen wilden Wolf im Eberswalder Zoo, Iwan, der immer noch darauf warten muss, dass sein Freigehege endlich fertig wird, geht es den Umständen entsprechend. Die Verdauung hat sich in der Gefangenschaft stabilisiert und das dort schon lange beheimatete Rudel langsam an ihn gewöhnt. Niemand wirft ihm mehr „unbrandenburgisches Verhalten“ vor, dennoch ist die „Führerfrage“ im Wolfsgehege nach wie vor ungelöst.

Da trifft es sich, dass Gertrud Höhler aus Paderborn soeben ein neues Wirtschaftsbuch auf den Markt gebracht hat, in dem sie für mehr „Mixed Leadership“ plädiert – es heißt „Wölfin unter Wölfen“. In den USA hat sich unterdes eine neue „Wolf Society“ gegründet, die sich einmal mehr via Internet für einen verbesserten „Standortschutz“ einsetzt.

Kritik erreichte uns nach dem dritten taz-Artikel über diese und andere Wölfe – aus Paris: Olala! Wir hatten behauptet, dass der Wolf quasi kein Problem mehr für die Grand Nation sei, den letzten hätten die Hunde vor rund 50 Jahren zerrissen. Alles falsch: Der Wolf – le loup – spielt „ganz besonders in den romanischen Ländern“ immer noch eine große Rolle, auch wenn das berühmte alte Poem „Beowulf“ wohl aus dem germanisch-friesischen Raum stammt. So nennt man z. B. seinen Geliebten in Frankreich „loulou“, die Absolventen der Eliteschulen heißen „jeunes loups“ und die jugendlichen „Man in Sportswear“-Banden der Vorstädte „loubards“.

Der Pariser Tierhistoriker Robert Delort schrieb: Wölfe seien „Langstreckenläufer – in wenigen Wochen können sie aus Sibirien Deutschland oder die Ardennen erreichen.“ Grundlage ihres Rudels ist das „monogame Paar, das bis zum Tod unzerrtrennlich ist“. Diese Treue – auch gegenüber Ranghöheren – sowie „solidarische“ bzw. „liebevolle“ Verhaltensweisen hätten bei den Wolfsforschern R.C. Hall und H.S. Sharp dazu geführt, das „soziale Verhalten“ der Wölfe sogar „moralisch höher“ als das der Menschen zu bewerten.

Letzterer – der Mensch – übte seit dem Neolithikum den größten Einfluss auf die Umwelt des Wolfes aus, jedoch nicht nur zu dessen Nachteil: Der Wolf profitierte von den wachsenden Herden der Viehzüchter. Indem er deren Hab und Gut angriff, wurden aber aus gelegentlichen Nahrungskonkurrenten erbitterte Gegner – schließlich „das Prinzip des Bösen schlechthin“. Je mehr der Mensch geschwächt ist und je erbitterter die Kälte, desto bedrohlicher wird der Wolf für ihn. Scharfsinnige französische Historiker nahmen deswegen sogar „den Wolf als Barometer für die Gesundheit der Bevölkerung“.

Ab dem 19. Jahrhundert wird der Wolf zum „Hauptfeind“, er gilt jedoch weiterhin als „mutig, heroisch, männlich“: Über 2.200 französische Familien wählten den Wolf zu ihrem Wappentier. Auf Sizilien wurde der Wolf bereits 1239 mit einer von Friedrich II. angeordneten „Vergiftungskampagne“ ausgerottet, aber bis heute nehmen die Familien bei einer Vendetta die „Lupara“ von der Wand. Weil sich die französischen Bauern bis zur Revolution nicht bewaffnen durften, erfanden sie neben den immer gefährlicher werdenden Hirtenhunden, die durch mit Dornen bewehrte Halsbänder vor dem Wolfsbiss geschützt wurden, immer raffiniertere Wolfsabwehren und -fallen, um ihn zu überlisten. Dazu wurde für ganz Frankreich die feste Institution des Wolfsjägermeisters – die Louveterie – geschaffen. Sie überlebte sogar die Gesetzesreform von 1971, ist seitdem jedoch eher eine Behörde zur generellen Schädlingsbekämpfung.

Ihren Höhepunkt hatten die Feldzüge der privilegierten Wolfsjäger 1764 in den Chevennen, wo ein „Untier“ mehrere kleine Mädchen getötet hatte. 3.000 Mann und Dutzende von Hundemeuten jagten schließlich den listigen Riesenwolf. Die Soldaten mussten in Frauenkleidern antreten, da das Tier angeblich eine Schwäche für die Weiblichkeit hatte. „Am Ende waren auf der einen Seite 101 Menschen getötet worden und auf der anderen Seite 200 Wölfe.“

Die Aktion markierte den „Wendepunkt zwischen zwei Epochen in der Geschichte des Wolfs und des Menschen“, schreibt Delort. Hintergrund für diese Hysterie war die Auslösung der gemeinwirtschaftlichen Strukturen in diesem Teil der Chevennen, wo nach dem „Aufstand der Kamisaren“ zudem ein besonders strenges Waffenverbot galt. Mit der Aufteilung der früheren Gemeinschaftsherden in einzelne Kleinstherden, die nun nicht mehr erwachsene Hirten mit Hunden, sondern unerfahrene kleine Kinder hüteten, eröffneten sich für die Wölfe neue Jagdchancen. Dieses Problem löste man dann mit einer neuen Zentralinstitution.

Fast dieselbe Situation existiert jetzt wieder in der ehemaligen Sowjetunion, und zwar vor allem dort, wo die Kolchosen in kleine Privatlandwirtschaften aufgelöst wurden. Andersherum stellte einer der erfolgreichen „Neuen Russen“, Alexander Panikin, gerade seine umtriebige Success-Story unter das Motto: „Den Wolf ernähren seine Beine“. Von der Tschukschen-Halbinsel bis zu den zentralasisatischen Republiken sind die Intellektuellen – wie Tschingis Aitmatow – aber nun vor allem darüber entsetzt, dass sie noch miterleben müssen, wie ihre Landsleute aus Not wieder zu Nomaden bzw. primitiven Jägern und Viehzüchtern werden.

Überall im Ostblock erhöht man deswegen jetzt die Staats-Prämien für getötete Wölfe. Dies geschah auch bereits bei der „Louveterie“, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts 18.709 Wölfe erledigte. Allein 1878 kassierten die Staatsjäger Prämien für 550 Wölfe, die sie in den Ardennen töteten, nachdem dort das „Untier von Indre“ einen Briefträger angefallen und verstümmelt hatte.

Spätestens mit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, in dem die Deutschen erstmalig ganze französische Dorfbevölkerungen als „Geiseln“ ermordeten, wenn Partisanen sie von dort angriffen, wurden Wolf und Boche (das französische Schimpfwort für Deutsche) identisch. Umgekehrt fühlten sich die Partisanen den Wölfen nahe: Wo diese sich hinwagten, waren bestimmt keine Boches. Zudem leuchteten die Wolfsaugen nachts im Wald wie die Lichter eines weit entfernten Bauernhauses. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg entstand das Lied „Les Loups sont entrés dans Paris“ (Die Wölfe sind in Paris). Die Nazis hatten nichts dagegen, da sie sich gerne selbst mit Wölfen verglichen: „Unsere Ehre heißt Treue“. Noch heute nennen die Neonazis sich bzw. ihre Periodika gerne „Wehrwölfe“, „Weißer Wolf“ u.ä. Dabei hat mit dem Hegen der vielleicht 100 letzten westeuropäischen Wölfe ein allgemeiner Wandel im Wolfsbild stattgefunden – beginnend mit Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ und Jack Londons „Wolfsblut“ wurde der ins Exotische abgetriebene Wolf immer sympathischer. Bis hin zu den jungen Pfadfindern – den „Wölflingen“, die jeden Tag eine gute Tat tun, neuerdings oft in Form von Umweltschutz-Aktivitäten, die explizit dem Wolf zugute kommen sollen.

Der Unterschied zwischen dem alten bösen und dem kleinen guten Wolf ist auch der Inhalt einer pädagogischen „Mickymaus“-Fortsetzungsgeschichte. Sogar der Mediävist Robert Delort meint: „In einer Zeit, wo mehr als je ‚der Mensch dem Menschen ein Wolf ist‘, sollten wir uns ein Beispiel an diesem Respekt gebietenden Wildtier nehmen, das immerhin für sich beanspruchen kann, nie einen Artgenossen zu zerfleischen.“

Anscheinend gilt das aber nicht für deutsche: In einem Nürnberger Flüchtlingsheim singt ein junger Iraner das Lied von den „Wölfen in Deutschland, die Hasen fressen“. Das Video davon ist gerade in der Ausstellung „Grenzenlos rechtlos“ über das Flüchtlingslend in Deutschland (im Haus der Demokratie) zu sehen, es heißt „Hase und Wolf“. Sogar der evangelische Ministerpräsident Stolpe gibt inzwischen zu, dass sein brandenburgischer Oberwolf, Schönbohm, bei der Lösung des „Ausländer-Problems“ gelegentlich übers Ziel hinausschießt.

Wir befinden uns wieder einmal in einer neuen Phase des 20.000 Jahre lang friedlich gewesenen Verhältnisses zwischen Wolf und Mensch. Das erklärt vielleicht die Gründlichkeit, mit der wir hier fortwährend auf dieses alte Thema zurückkommen, das die bürgerlichen Medien bisher immer nur in voller Breite ausgelotet haben. Zuletzt – am 2. September – die F.R. in einem Bericht über den „letzten Wolf im Odenwald“, dessen Leben und Sterben – er wurde 1864 von 150 Jägern und 120 Treibern zur Strecke gebracht – gerade von dem pensionierten Juristen Dieter Röckel (78) „rekonstruiert“ wurde.

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