Vattenfall: Kunden ziehen den Stecker

Quittung für Pannen und Preise: Seit Mai hat der Konzern in Hamburg und Berlin über 50.000 Kunden verloren. Der Ökostromanbieter Lichtblick freut sich über steigende Wechslerzahlen.

Hochspannungsmast Bild: dpa

BERLIN taz Die jüngsten Pannen in Vattenfall-Atomkraftwerken machen sich offenbar stark in der Konzernbilanz bemerkbar. Seit Anfang Juli sei der Marktanteil in Berlin und Hamburg um jeweils 4 Prozentpunkte zurückgegangen, sagte Konzernsprecherin Geraldine Schroeder gestern. Damit liegt der Marktanteil in der Hauptstadt noch bei 80 Prozent, in der Hansestadt bei 86 Prozent.

Und auch die Halbjahreszahlen, die der neue Vorstandssprecher Hans-Jürgen Cramer auf der Hauptversammlung bekannt gab, spiegeln deutlich die Vattenfall-Krise: Im ersten Halbjahr hat der Konzern gut 9 Prozent weniger Strom verkauft. Der Absatz an Vertriebskunden sei von 24 Terawattstunden auf 21,8 Terawattstunden im Vergleich zum Vorjahr gesunken, so Cramer - was sich auch in der Kasse empfindlich auswirkt. Das Betriebsergebnis liegt mit 1,006 Milliarden Euro um 2 Prozent unter dem Vorjahreswert.

Zehntausende Kunden laufen von Vattenfall zu Ökostromanbietern über: Seit Anfang Mai sind allein 50.000 Kunden von Vattenfall zu dem Ökostromanbieter Lichtblick gewechselt. "Unsere Neuzugänge sind sprunghaft angestiegen", sagt Lichtblick-Sprecher Gero Lücking. In diesem Monat hatte Vattenfall, der viertgrößte Stromversorger Deutschlands, in Berlin und Hamburg eine happige Preiserhöhung angekündigt.

Auch der Berliner Anbieter Flexstrom meldet seit Mai stark steigende Wechslerzahlen. Während Anfang des Jahres monatlich gut 300 Kunden einen neuen Vertrag bei Flexstrom unterzeichneten, waren es im Juni plötzlich 6-mal so viele. "Vattenfall betreibt gerade Werbung für uns", freut sich Sprecher Dirk Hempel.

Die Vattenfall-Konkurrenz kündigt bei einem Neuauftrag den alten Liefervertrag - entsprechend kann sie die Vattenfall-Abgänge genau kalkulieren. Vattenfall selbst gibt die Zahlen über Kundenverluste nicht heraus. Das sei aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht möglich, so Schroeder.

Was Vattenfall ärgert, freut Umweltschützer. Rainer Baake, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, begrüßt den frisch angefachten Wettbewerb auf dem Strommarkt. "Die Menschen sind erstmals richtig in Wechselstimmung." Immer mehr Kunden entschieden sich gegen Strom aus Atomkraftwerken oder klimaschädlichen Kohlekraftwerken. "Unsere Wechselkampagne läuft so gut wie nie. Und Vattenfall hat ihr unfreiwillig kräftig Schwung gegeben", sagt Baake. Der Umweltverband ruft seit September 2006 zusammen mit anderen Organisationen dazu auf, zu Ökostromanbietern zu wechseln (www.atomausstieg-selber-machen.de).

In Berlin verstärkten außerdem peinliche Marketingfehler den Trend. Als Vattenfall die Preiserhöhung im Mai ankündigte, ließ der Konzern den günstigsten Tarif in den Informationsschreiben weg und koppelte andere mit einem Haushaltsschutzbrief - was Verbraucherschützer scharf kritisierten. Die Landesregierung aus SPD und Linkspartei überlegt inzwischen, Vattenfall bei der Vergabe des nächsten Stromvertrages für Berlin auszuschließen.

Dennoch muss sich der Energiekonzern vorerst keine Sorgen um seine vorherrschende Stellung in Berlin und Hamburg machen. In der Hauptstadt beziehen 1,8 Millionen Kunden Vattenfall-Strom, an der Alster sind es rund 800.000 Kunden. Zum Vergleich: Lichtblick ist der größte unabhängige deutsche Ökostromversorger - und er beliefert bundesweit 304.000 Kunden. ULRICH SCHULTE

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