Vatikanologe Sandri über Ratzingers Thesen: "Papst will das Naturgesetz diktieren"

Der Schulterschluss mit den antisemitischen Lefebvrianern offenbart ein Grundanliegen von Papst Benedikt XVI., sagt der Vatikanologe Luigi Sandri: Die katholische Kirche soll alleinige Autorität bekommen.

"Egal ob Abtreibung, Ehescheidung, Biotechnologien oder Sterbehilfe: Diese Kirche verkündet ihre Position mit dem Anspruch, sie sei für alle bindend und verpflichtend." Bild: dpa

taz: Herr Sandri, Papst Benedikt hat jetzt von Bischof Richard Williamson gefordert, er müsse sich gänzlich von seinen antisemitischen und negationistischen Äußerungen distanzieren. Ist damit der Fall für den Vatikan erledigt?

Luigi Sandri: Ich denke nein. Nehmen wir einmal an, Williamson ziehe alle seine Äußerungen zurück. Es bliebe dennoch die Tatsache, dass die lefebvrianischen Bischöfe das II. Vatikanische Konzil nicht anerkennen - und dies ist der Grundkonflikt, der hinter allem anderen steht. Indem Benedikt XVI. ihre Exkommunizierung widerrufen hat, hat er - wenigstens in meinen Augen - das Konzil zu einem reinen Optional heruntergestuft. Als guter Katholik kann man es akzeptieren - oder auch nicht. Selbst wenn Williamson ein Mea Culpa ausspricht, hätten wir dennoch in der katholischen Kirche Bischöfe, die das Konzil offen in Frage stellen.

Aber es wäre doch denkbar, dass die Lefebvrianer sich zum II. Vatikanischen Konzil bekennen.

Ach, wissen Sie … Vor acht Jahren ist eine Gruppe von brasilianischen Anhängern Lefebvres von Johannes Paul II. wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen worden. Dieser Gruppe extremer Traditionalisten gewährte der Papst eine "persönliche apostolische Administration", sie existieren also als eigene Gemeinschaft in der Kirche fort. Jetzt erklären diese Ex-Lefebvrianer immer noch: Wir akzeptieren das II. Vatikanische Konzil so weit, wie es mit der vorherigen Tradition der Kirche im Einklang steht.

Und dieses Zugeständnis reicht Ihnen nicht?

Der Witz ist doch gerade, das jenes Konzil in ganz entscheidenden Fragen - vorneweg in der Frage des alten Bundes Gottes mit Israel, sprich des Verhältnisses zu den Juden, und dann in der Frage der Religionsfreiheit - mit der alten Kirchentradition radikal gebrochen hat. Man kann doch keine ungebrochene Kontinuität herstellen wollen zwischen Zeiten, in denen Ketzer verbrannt wurden, und einer Zeit, in der die Religionsfreiheit endlich durch die Kirche anerkannt wird. Zwischen Zeiten also, in denen die Kirche die Juden als "Gottesmörder" verfemte, und einer Zeit, in der sie sie als "die älteren Brüder" der Christen anerkennt! Das heißt schlicht: In den beiden von mir genannten Fragen wird das Konzil völlig ausgehöhlt. Da versucht man, die Einheit der Christenheit herzustellen - und unterminiert sie zugleich in gefährlicher Weise.

Sie halten offenen Antisemitismus der Lefebvrianer also nicht für zufällig?

Er ist bloß die Spitze eines Eisbergs. Dass da einer den Holocaust leugnet, ist für sich allein schon skandalös und abstoßend. Doch zugleich denke ich, dass dieser Skandal den eigentlichen, zugrunde liegenden Skandal in den Hintergrund gedrängt hat: Für die Lefebvrianer ist es einfach eine tragende Säule ihrer Ideologie, dass die Juden Gottesmörder waren und es immer sein werden, gerade deshalb lehnte Lefebvre das II. Vatikanische Konzil ab. Und mit seiner Geste der Versöhnung gegenüber diesen Traditionalisten hat Benedikt XVI. ausgerechnet am 50. Jahrestag der Ankündigung des Konzils jenes Konzil völlig verstümmelt - und den Jahrestag zur Begräbnisfeier für das Konzil gemacht.

Für Sie überraschend?

Keineswegs. Gehen wir einmal zum Konklave im Jahr 2005 zurück, als Ratzinger auf Anhieb mit über zwei Dritteln der Stimmen der Kardinäle gewählt wurde. Die Kardinäle wählten da einen, von dem sie genau wussten, wer er war. Ratzinger verkündet heute die gleichen Thesen wie früher. Mit anderen Worten: Die Kardinäle wollten genau diesen Papst, im Wissen um seine Positionen. Und Ratzinger ist sich treu geblieben: Alle seine theologischen Akte zielen darauf, die Ergebnisse des Konzils zu minimieren. Ein Beispiel: Als Ratzinger im Jahr 2007 den protestantischen Kirchen die Eigenschaft der "Kirche" absprach, konnte dies nichts anderes bedeuten, als die Ökumene zu torpedieren. Und als Benedikt XVI. in Brasilien behauptete, die Evangelisierung Lateinamerikas sei "ohne Gewalt" erfolgt, als er das Karfreitagsgebet für die Bekehrung der Juden wieder einführte, hat er zwei weitere Glieder in jene Kette eingefügt, die den Lefebvrianern die katholische Kirche wieder akzeptabel erscheinen lässt.

Verstehe ich Sie richtig - dieser Papst steht den Lefebvrianern näher als der Konzilskirche?

Womöglich, auch wenn Ratzinger gelegentlich widersprüchliche Signale aussendet. Als er seine Türkeireise machte, war zum Beispiel im ursprünglichen Programm kein Besuch in einer Moschee vorgesehen. Die türkischen Gastgeber haben dann, ganz zu Recht, Druck ausgeübt - und der Papst ging schließlich doch in die Moschee. Die historische Realität bringt den Papst bisweilen zu Gesten der Öffnung, die er seinerseits womöglich gar nicht vorgesehen hatte, und ich will solche Gesten auch für die Zukunft nicht ausschließen.

Er bleibt zugleich der Papst, der Lefebvres Anhänger wieder in die Kirche aufnehmen will.

Das, was den Papst wirklich mit den Lefebvrianern verbindet, ist seine unverbrüchliche Annahme, dass es allein der katholischen Kirche - und damit in letzter Instanz dem Papst - zusteht, die "authentische Interpretation" des "Naturgesetzes" vorzunehmen. Die römische Kirche versteht sich so als das alleinige Zentrum des ethischen Urteils zu allen Fragen, als Zentrum, das Parlamenten und Bürgern diktieren kann, wie sie zu entscheiden haben, mit einem absoluten Wahrheitsanspruch nicht nur für die Katholiken, sondern für alle: für Orthodoxe, Protestanten, Nichtgläubige.

Der Vatikan beansprucht, er allein könne über die "Naturgesetze" befinden - nicht etwa über das "Gesetz Gottes". Egal ob Abtreibung, Ehescheidung, Biotechnologien oder Sterbehilfe: Diese Kirche verkündet ihre Position mit dem Anspruch, sie sei für alle bindend und verpflichtend. Eine solche Haltung ist einfach Musik in den Ohren der Lefebvrianer.

Ich dagegen denke, dass die katholische ebenso wenig wie andere Kirchen für sich beanspruchen kann, sie habe den Schlüssel der Wahrheit in der Hand. Sie ist dafür da, die Gnade und die Barmherzigkeit Gottes zu verkünden - und nicht dafür, ein "Naturgesetz" zu diktieren.

Die päpstliche Entscheidung, die Lefebvrianer zu rehabilitieren, und die antisemitischen Thesen Williamsons haben in Deutschland heftigen Aufruhr ausgelöst. In Italien dagegen waren Proteste kaum zu vernehmen. Sind hier alle mit diesem Papst einverstanden?

Italien ist in dieser Hinsicht ein besonderes Land. Ich habe in diesen Tagen mit zahlreichen katholischen Laien, aber auch mit Priestern gesprochen. Viele von ihnen bekunden, tief beunruhigt zu sein über das, was da im Vatikan passiert, und ich weiß auch von einigen Priestern, die sehr kritische Briefe geschrieben haben. Leider ist es aber bei uns so, dass zwar viele hinter vorgehaltener Hand Kritik üben, dass man zwar durchaus von einem verbreiteten Dissens sprechen kann - dass der aber unter der Decke bleibt, keinen öffentlichen Ausdruck findet. Das tut weder der Kirche gut noch der Gesellschaft. Aber ich bin sicher: Früher oder später wird der Druck im Kessel so sehr steigen, dass es auch bei uns zur Explosion kommt.

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