Valencias Stadtviertel Cabanyal: Spanische Träume
Das ehemalige Fischerviertel Cabanyal soll einer Prachtstraße zum Meer geopfert werden. Für viele sind die Größenfantasien Albträume.
Ein- bis zweistöckige Würfelhäuschen reihen sich an Gassen, die schnurgerade parallel zum Strand verlaufen. „Hasta Francia“, „bis nach Frankreich“ heißt der nördliche Teil des Cabanyal, das landeinwärts mit Valencia zusammengewachsen ist. Viele der Häuschen tragen auf ihren Fassaden bunte Kacheln.
Simse und Giebel sind mit Stuck verziert. „Modernismo Popular“, volkstümlichen Jugendstil nennen sie hier den wilden Stilmix. Mit einfachem Baumaterial versuchten die Fischer im Cabanyal vor rund 100 Jahren den aufwändigen Baustil der reichen Stadtbürger nachzuahmen.
Anfang des 20. Jahrhunderts brach in Valencia ein Bauboom aus. Dank effektiverer Anbaumethoden lieferte das fruchtbare Umland drei Ernten im Jahr. Zitronen und Orangen aus Valencia verkauften sich über neue Bahn- und Schiffsverbindungen auch im Ausland bestens. Händler und Großgrundbesitzer demonstrierten ihren neuen Wohlstand mit aufwändig verzierten Fassaden im damals aktuellen Jugendstil. Rund um die Altstadt mit ihren engen Gassen säumen die prächtige Bauten aus jener Zeit die breiten Alleen und palmengesäumten Plätze.
El Cabanyal Kostenlose App mit Infos zum Stadtviertel und Veranstaltungskalender zum Download unter anderem auf iTunes: Cabanyal 2.0 geführte Rundgänge im Viertel: paseandoporpobladosdelamar. blogspot.com.es
Plattform zur Rettung des Stadtteils: www.cabanyal.com
Stadtteilfestival Cabanyal Intim http://cabanyalintim. blogspot.de
Valencia Sostenible y Creativa Netzwerk von 40 Organisationen für ein nachhaltigeres Valencia: www.sostenibleycreativa.org
Medien: Deutschsprachige Zeitung für die Costa Blanca und die Costa del Sol:
Casa Montana Weinbar mit hervorragenden Tapas, El Cabanyal, C/Benlliure 69:
Im bescheiden gebliebenen Cabanyal stellen immer mehr Anwohner Tische und Klappstühle auf den Placa de la Creu, den Kreuzplatz. Aus Taschen und Tüten holen sie Brot, Wein, Salate. Mit einem großen gemeinsamen Essen protestieren die Nachbarn gegen die Zerstörung ihres Viertels.
Spaniens korrupteste Stadt
Peter, pensionierter Lehrer aus Hamburg, hat sich in Valencias einstigem Fischerkiez seine zweite Heimat eingerichtet. Seit 15 Jahren kommt er regelmäßig. In Hamburg war er bei den Grünen, hier engagiert er sich gegen die Pläne der Stadt: Die seit 1991 regierende Bürgermeisterin will die vierspurige Avenida de Blasco Ibanez bis zum Meer verlängern. Doch das Zentrum des Cabanyal versperrt den Weg.
Bei Wein, Brot, Käse, Oliven und Empanadas erzählt Peter die Geschichte des Viertels in Spaniens am höchsten verschuldeter und angeblich korruptester Stadt. Karin, die lange an der deutschen Schule unterrichtet hat, kommt dazu. Der Platz füllt sich.
Karin wohnt in einem dreistöckigen Haus, das die Stadt schon zum Abriss freigegeben hat. An den verwitterten Wänden, von denen der Putz bröckelt, markieren braune und beigefarbene Streifen die geplante Schneise. Eingänge in der Nachbarschaft sind zugemauert. Das Viertel verfällt, obwohl sehr viele Gebäude unter Denkmalschutz stehen. Nachdem ein Obergericht in Madrid die Baupläne gestoppt hat, genehmige die Stadt keine Renovierungen mehr.
Viele seien weggezogen. Wohnungssuchende besetzen leerstehende Gebäude. Immer mehr der in Valencia gestrandeten Roma-Familien aus Rumänien und Bulgarien finden hier ein Notquartier. Anwohner klagen über Verfall, Schmutz, „die Zigeuner“. 400 Häuser mit rund 1.600 Wohnungen habe die Stadt gekauft, um sie abzureißen. Inzwischen sei ihr das Geld ausgegangen.
Der Bürgerkrieg in den Köpfen
An manchen Fassaden fordern Transparente den Bau des neuen Boulevards. „Das ist eine Initiative des Partido Popular, der regierenden konservativen Volkspartei“, erklärt Emiliano. In seiner Bodega Casa Montana serviert er teuren Wein aus Eichenfässern und feine Tapas. Für den Cabanyal hat Emiliano viele Ideen: Aus den kleinen ehemaligen Fischerhäusern ließen sich zum Beispiel Studentenapartments machen. Viele der rund 100.000 Studierenden suchen eine Bleibe. Rund 20.000 von ihnen pendelten jeden Tag in die Stadt. Auch für alte Leute seien die flachen, einstöckigen Häuschen geeignet oder für Ferienwohnungen für die zahlreichen Touristen.
Zu Zeiten des faschistischen Diktators Franco ging Emiliano 1973 zum Studieren nach Deutschland und in die Niederlande. Als er dort zum ersten Mal eine Demonstration sah, bei der die Polizisten friedlich am Straßenrand standen, wurde ihm klar: „Ich will in einem demokratischen Land leben.“ Wenig später erfüllte sich sein Wunsch: Franco starb 1975.
„In vielen Köpfen“, meint Emiliano, „ist der Bürgerkrieg immer noch nicht zu Ende.“ Valencia war 1939 die letzte Bastion der Spanischen Republik. Italienische Kriegsschiffe bombardierten die Stadt. Viele Geschosse schlugen in der Nähe des Hafens im republikanischen Cabanyal ein. Emiliano, 58, sieht sich als einen der wenigen „linken Unternehmer“ in der Stadt. Ethisches Wirtschaften lohne sich. Der Mann mit dem grauen Bart überlegt, bevor er seine Sätze ausspricht. Eine Zeit lang war er Vorsitzender der Valencianischen Kaufmannschaft. Dort erfuhr er, dass sich die meisten seiner Kollegen nicht für Politik interessierten. Die sei „schmutzig“. Deshalb wolle man damit nichts zu tun haben. So sei es der Bürgermeisterin leicht gefallen, den kleinen Händlern im Cabanyal Aufschwung und Wohlstand zu versprechen, wenn die neue Avenida zum Meer gebaut würde.
"Die sind größenwahnsinnig"
Doch Spanien steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise: 56 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Viele Hochschulabsolventen ziehen wieder zu ihren Eltern und Großeltern, weil sie keinen Job finden. 700.000 Spanier sollen das Land auf der Suche nach Arbeit seit 2008 verlassen haben.
Der Weg zurück in die Stadt führt über den zweispurigen Radweg unter Palmen die Avenida Blaso Ibanez bis zu den Königlichen Gärten, dann hinunter in den Fluss, der keiner mehr ist. Zwölf Kilometer lang ist das grüne Band, das die Valencianer einer Naturkatastrophe und ihrer Beharrlichkeit verdanken. Jahrhundertelang überflutete der Fluss Turia Valencia immer wieder. Im Jahr 1957 stand das Wasser in der Altstadt bis zu fünf Meter hoch. Die Zentralregierung in Madrid beschloss daraufhin, den Fluss umzuleiten.
Ins alte Flussbett wollten die Stadtväter eine Autobahn bauen. Eine der ersten Bürgerinitiativen Spaniens setzte stattdessen einen Park durch. Heute wirbt die Stadt mit dem längsten Park des Landes. An der Strecke liegen Fußballplätze, Trimm-dich-Anlagen, künstliche Seen, Wiesen und die Stadt der Wissenschaft und Künste: ein Ensemble aus futuristischen Glas- und Betonbauten nach Plänen des aus Valencia stammenden Architekten Santiago Calatrava. Mehr als eine Milliarde Euro hat die Stadt der Wissenschaft und Künste mit ihrem naturwissenschaftlichen Museum, den Aquarien mit Haitunnel, Pinguinen, tropischen und arktischen Gewässern, der Oper und dem Veranstaltungszentrum angeblich gekostet. Während des Baubooms bis 2008 war den valencianischen Politikern nichts groß und teuer genug. Die Region ließ für mehr als 300 Millionen Euro einen Flughafen bauen, auf dem nie ein Flugzeug landen wird. Auch andere Mammutprojekte haben gigantische Löcher in die Haushalte gerissen.
„Die sind größenwahnsinnig“, urteilt Miguelangel Ferrís über die konservative Regionalregierung. Ein neues Stadion für 280 Millionen, dessen Weiterbau niemand mehr bezahlt, halbfertige Wohn- und Büroviertel oder die Investruinen der Hafenerweiterung, deren Erschließungsstraßen in einer staubigen Wüstenlandschaft enden. Für die jetzt brachliegende Fläche habe die Polizei ein ganzes Dorf gewaltsam geräumt. Anschließend habe man Betonplatten verlegt, um einen Wiederaufbau zu verhindern. Allein gegen Politiker der autonomen Region Valencia liefen 300 Ermittlungsverfahren wegen Korruption, erzählt Ferrís. Aus der Not hat der Lehrer mit ein paar Freunden ein Programm gemacht: Spaniens erste „Route der Korruption und Verschwendung“ – als Rundfahrt oder Wanderung für Einheimische und Touristen.
Die Gegenbewegung
Inzwischen bieten Miguelangel und seine Mitstreiter auch Touren in die valencianische Zivilgesellschaft an. So bewirtschaften Nachbarn gemeinsam Gemüsegärten, organisieren kostenlose Tauschbörsen und Kulturveranstaltungen. Der Dachverband „Valencia Sostenible“, nachhaltiges Valencia, zählt mittlerweise 40 Mitgliedsorganisationen.
Auch Boris, ein Typ mit schwarzen Haaren und schwarzem Bart, hat sich intensiv mit der Stadtplanung in Valencia beschäftigt. Nach dem Abi auf der deutschen Schule hat er Architektur studiert. Als er 2003 von der Uni kam, waren Baufachleute gefragt. Inzwischen suchten sieben von zehn Architekten vergeblich Arbeit. Den Größenwahn vieler Politiker erklärt er aus der Geschichte: „Spanien war immer eine arme Agrargesellschaft, weit weg von Europa.“
Die Menschen hätten den Glanz der Städte bewundert und sich an den leuchtenden Metropolen orientiert. „Als mit dem Wirtschaftsaufschwung so viel Geld ins Land kam, fehlte nach 40 Jahren Diktatur die demokratische Kontrolle.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“