VORLAUF: Das Evangelium nach Jarman
■ Derek Jarmans "The Garden", 22.55 Uhr, ZDF
Der englische Filmemacher Derek Jarman trat Anfang der 70er durch die Ausstattung von Ken Russels Die Teufel erstmals hervor. Mit Filmen wie The Tempest, Jubilee, Caravaggio, War Requiem oder The Last of England avancierte er zur internationalen Kultfigur. Dennoch ist er nach wie vor Amateur, im besten Sinne. Sein teuerster Film, Caravaggio, kostete gerade 375.000 Pfund. Die übrigen weit weniger. Ohne Unterstützung aus dem Ausland, vor allem vom ZDF, kämen seine Filme nicht zustande. Von dem Geld, das ihm Werbeclips für „The Smiths“, „The Pet Shop Boys“, Bryan Ferry oder Marc Almond einbringen, lassen sich keine Filme finanzieren.
Ästhetik und Form seiner Filme sind Produkt dieser notorischen Knappheit, unter anderem. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist sein Medium die Super-8-Kamera. Jarman dreht Filme, wie andere Leute Notizen mit dem Kugelschreiber machen. Er arbeitet nicht nach einem vorgefaßten Script. „Wenn wir ein Drehbuch schreiben, tun wir nichts anderes als uns einzuschränken, während wir, wenn wir mit einer Super-8-Kamera arbeiten, die ganze Welt zur Verfügung haben.“
Einen Teil ihrer Wirkung erzielen die Filme aus der Uneigentlichkeit der Methode. „Beim Drehen weiß keiner, ob das auch in einem richtigen Film vorkommen wird; bei Super-8 nimmt keiner, auch nicht die Schauspieler, das Drehen so richtig ernst. Das ist überhaupt der Unterschied zwischen meinen Filmen und denen der anderen: In meinen Filmen lächeln die Leute, weil sie lächeln, und nicht weil ich sie darum gebeten habe.“
Seine Filme leben aus einer interessanten Spannung heraus. Der avantgardistischen Montage von Bildern, Motiven und Gesten, deren „Sinn“ erst im Nachhinein durch das Unterlegen einer breiten Palette von Musiken herausgeschält wird wie die Form eines Bildhauers, steht eine traditionsgebundene Verpflichtung zur Kunst eines Caravaggio oder Wiliam Blake gegenüber. Sein Denken ist alles andere als modern, stark subjektivistisch, beinahe naiv. Seine Radikalität in der Form hat jedoch kaum ein Filmemacher erreicht, so radikal sein Denken auch sein mag. Jarmans Filme sind das geträumte Spiegelbild des Intellektualisten Peter Greenaway.
Jarman ist schwul, HIV-infiziert und hat natürlich eine Affinität zur Schwulenästhetik, die er jedoch gebrochener, selbstironischer einsetzt, nicht so plump wie etwa von Praunheim. Was er „erzählt“, bzw. was durch die assoziativ-suchende Montage am Ende herüberkommt, ist der schillernde Eindruck von Weite, sich an seinen Film wie an einen Traum zu erinnern. Typen, Verhaltensweisen, Gesichter, Tableaus, durch Zeitraffer und Zeitlupe extrem bearbeitet, schießen einem manchmal Tage oder Wochen später noch durch den Kopf. Was der vielschichtigen Komposition zuzuschreiben ist. Jarmans Irrationalismus, weit davon entfernt, beliebig zu sein, resultiert unter anderem aus der marginalen, beinahe dekorativen Rolle der Sprache: „Irgendwie vertreiben Worte die Stimmungen.“
Formal knüpft The Garden an The Last of England an, wo Jarman mit einer Mischtechnik aus Super-8 und Video begann. Den roten Faden bildet das Motiv der mit Jesus gekreuzigten Schächer, als Schwulenpärchen interpretiert. Das Martyrium der sexuellen Minderheit wird mit christlichen Motiven und politischen Anspielungen verwoben, zum Beispiel die Hafensanierung in London. Motivisches Zentrum bildet eine vielfach folkloristisch variierte Parodie des Abendmahls. Ein joggender Sportlehrer durchkreuzt den Film; als er am Ende dem auferstandenen Christus begegnet, zeigt er ihm den Vogel. Jarman-Schauspielerin Tilda Swinton als von den Kameras förmlich aufgefressenes, jungfräuliches Fotomodell Maria mit Jesuskind. Das Ambiente des biblischen Eden fand Jarman in Kent, an der südenglischen Küste, wo er sich direkt neben einem Atomkraftwerk ein kleines Fischerhäuschen gekauft hat, weil es nach dem Tschernobyl- Crash billig zu haben war.
Derek Jarman, das heißt Kunst zu erleben und dabei trotzdem das Gefühl zu bekommen, sich gleich eine Super-8-Kamera ausleihen zu müssen. Manfred Riepe
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