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VIELE WERDEN VOM BRUMMI-PROTEST PROFITIEREN. DIE SPEDITEURE NICHTZwei Fliegen, ein Kühlergrill

In Wiesbaden protestieren 10.000 Menschen gegen Fluglärm, und kaum einer nimmt es wahr. Ein paar Dutzend Protestler bummeln in ihren dicken Lastwagen durch einige Städte – und die Republik steht Kopf. So ungerecht kann Politik sein.

Es ist schon kurios zu sehen, wie aus einer total verhassten Zunft plötzlich Volkshelden werden. Gestern noch schimpfte man gegen Fernfahrer, die die Straßen verstopfen, den Asphalt zerdeppern und die Luft verpesten. Kaum steigen die Spritpreise, schließt das Land pöbelnde Trucker ins Herz. Laut denkt die Regierung inzwischen nach, wie sie das Autofahren billiger machen könnte.

Die Spediteure sonnen sich in ihrer neuen Popularität – und übersehen, dass sie die Kontrolle längst verloren haben. Als Erste ist die Union aufs Trittbrett gesprungen und langt kräftig nach dem Steuer. Ohne selbst etwas organisieren zu müssen, nutzt Parteichefin Merkel den Protest, um von ihrer Konzeptlosigkeit abzulenken.

Die SPD köchelt derweil ihr eigenes Süppchen. Natürlich kann der Kanzler die Ökosteuer nicht ohne Imageverlust abservieren – und wenn er sie noch so sehr hasst. Aber warum nicht die Lage nutzen, um die Grünen ein wenig unter Druck zu setzen? Schon lange drängen diese darauf, die Kilometerpauschale unabhängig vom Verkehrsmittel zu gewähren, um Autofahrer nicht länger einseitig gegenüber Bahn- oder Radfahrern zu bevorteilen. Um die Pauschale dann noch finanzieren zu können, müsste sie nach den bisherigen Vorstellungen von heute 70 auf 50 Pfennig pro Kilometer sinken. Die Grünen drängen schon lange darauf, diesen Punkt der Koalitionsvereinbarung endlich umzusetzen. Nur hält Schröder nichts davon.

Wenn also der Kanzler tatsächlich die Pauschale fürs Auto auf 90 Pfennig erhöht, hätte er zwei Fliegen mit einem Kühlergrill erschlagen. Erstens könnte er mit einem Ausgleich für die Ölpreise glänzen, zweitens die Grünen vorführen. Für sie wäre es im Moment besonders schwer, sich gegen diese erneute Subvention des Autofahrens zu wehren: Die Entfernungspauschale für alle wäre vom Tisch. Nur die Spediteure hätten nichts von diesem „sozialen Ausgleich“. Auch Strucks Vorschlag, stärker gegen illegale Lkw-Transporte aus dem Ausland durchzugreifen, taugt wenig. Aber wer hat gesagt, dass Politik gerecht ist? MATTHIAS URBACH

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