VG Musikedition über neue Liedgebühren: "Das sollte für jede Kita bezahlbar sein"
In letzter Zeit werden Kitas aufgefordert, für Kopien von Liedtexten Geld zu zahlen. Richtig so, findet Christian Krauß, Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft der Musikschaffenden.
taz: Herr Krauß, die Gema hat Kindertagesstätten in ganz Deutschland schriftlich informiert, dass sie für kopierte Liedertexte Lizenzgebühren erheben. Heiko Maas aus dem SPD-Bundesvorstand nennt das "Abzocke im Kindergarten". Erklären Sie doch einmal: Warum sollen jetzt die Kitas fürs Singen bezahlen?
Christian Krauß: Das ist ein ganz großes Missverständnis, dem Herr Maas da erliegt: Es geht nicht um das Singen der Lieder, das ist erlaubt. Es geht um das Kopieren von urheberrechtlich geschützten Liedtexten und Noten. Das deutsche Urheberrecht legt fest, dass eine grafische Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke nur mit Lizenz des Rechteinhabers gemacht werden darf. Und die Rechte der meisten Kinderlieder-Autoren vertritt die VG Musikedition, die in diesem Fall die Gema mit der Administration beauftragt hat - also damit, die Kindertagesstätten zu kontaktieren.
Sie meinen also, dass sich die Kleinen schon im Kindergarten durch kopierte Liedtexte an Raubkopien gewöhnen?
Das ist sehr drastisch ausgedrückt. Wir wollen die Kindergärten nicht an der musikalischen Früherziehung hindern. Es geht uns darum, die Kinderliedautoren zu entlohnen. Deshalb machen wir den Kindergärten gemeinsam mit der Gema ein günstiges Angebot. Aber wenn die lieber Liederbücher kaufen wollen, brauchen sie unser Angebot ja nicht annehmen - und dann müssen sie auch keine Gebühren an die Gema zahlen.
Und wenn die Kindertagesstätten sich weder die Gebühren noch Liederbücher leisten können?
In den letzten Tagen wurden da viele falsche Zahlen veröffentlicht. Wir verlangen von Kindergärten 56 Euro für 500 Kopien im Jahr. Einrichtungen mit kommunalen und kirchlichen Trägern bekommen darauf dann noch einmal 20 Prozent Rabatt. Das heißt, dass die meisten Kindergärten nur 44,80 Euro, also weniger als vier Euro im Monat zahlen müssen. Das sollte für jeden Kindergarten bezahlbar sein.
Der Interviewte, geboren 1971 in Trier, studierte Musik, Politik und Rechtswissenschaften. Er ist Geschäftsführer der VG (Verwertungsgesellschaft) Musikedition.
Und wie soll das durchgesetzt werden? Wird es dann in Zukunft Razzien in den Kindertagesstätten geben, die keine Abgaben abführen?
Um Gottes willen, nein. Wir haben keinen Anlass, die Kindergärten aufzusuchen. Wir haben die Kindergärten darüber informiert, dass viele Lieder urheberrechtlich geschützt sind und nicht ohne Lizenzvertrag kopiert werden dürfen. Und das Verständnis war eigentlich groß. Es ist ja auch so: Wir haben inzwischen mit 6.000 Kindergärten Verträge abgeschlossen und denken, dass die Kindergärten lieber unser Angebot annehmen, als gegen das Urheberrecht zu verstoßen. Da brauchen wir keine Razzien oder Kontrollen durchführen.
Erst wollte die Gema für das Spielen von Liedern auf Weihnachtsmärkten Geld kassieren, jetzt sind die Kinderlieder dran. Bedrohen die Forderungen der Gema das "deutsche Liedgut"?
Siebzig Jahre nach dem Tod des Autors verlieren die Nachkommen die Verwertungsrechte, die sich aus dem Urheberrecht ergeben. Danach wird ein Lied allgemeines Liedgut und kann ohne Lizenz kopiert werden. Bei Liedern wie "O Tannenbaum" und "Kling Glöckchen Klingeling" ist das zum Beispiel der Fall. Und bei den geringen Kosten, die wir verlangen, haben die Kindergärten auch keinen Anlass, neuere Lieder zu meiden.
Wer profitiert denn von den Gebühren auf "Alle meine Entchen"?
Die Lizenzeinnahmen gehen nach Abzug der Verwaltungskosten direkt und eins zu eins an die Autoren der Lieder - und an ihre Musikverlage.
Und woher wissen Sie, welche Lieder der Kindergarten kopiert hat, wenn er eine Pauschale mit der Gema vereinbart hat?
Die Kindergärtnerinnen müssen eine kleine Liste führen, welche Liedtexte sie kopieren.
Wird das nicht ein riesiger zusätzlicher Bürokratie-Aufwand für die Kindergärtnerinnen?
Wir sind einfach gesetzlich dazu verpflichtet, die Rechte der Urheber zu schützen. Dazu brauchen wir eine Liste der kopierten Lieder und ihrer Autoren. Aber in der Zeit, in der die Erzieherin fünfundzwanzig Kopien zieht, kann sie nebenher auch kurz Titel und Autor auf eine Liste schreiben.
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