Urwahl der Spitzenkandidaten: Grüne gehen an die Urne
Der grüne Länderrat beschließt, 59.000 Mitglieder über die Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl abstimmen zu lassen. Das Ergebnis soll im November feststehen.
BERLIN taz | Claudia Roth ist zu klug, als dass ihr hier jetzt ein Selbstlob herausrutschen würde. Roth steht vor der Fabrikhalle in Berlin-Wedding, sie trägt eine Halskette aus dicken roten Holzkugeln. Roth blinzelt in die Sonne, lächelt breit und legt sich zwei Sekunden lang die nötige diplomatische Antwort zurecht.
Ist sie die heimliche Siegerin des monatelangen Gerangels der Grünen-Spitzenleute?
„Na ja“, sagt Roth. Sie habe eben wichtig gefunden, die Personalfrage aus den Hinterzimmern zu holen, auf innerparteiliche Demokratie zu setzen und mindestens eine Frau im Wahlkampf mit vorne zu installieren. Aber heimliche Siegerin? Roth lächelt, schweigt und geht. Sie muss jetzt los, eine Rede halten.
Ein Länderrat der Grünen entschied am Sonntag, dass die gut 59.000 Parteimitglieder über ein quotiertes Spitzenduo abstimmen dürfen, welches die Partei im Wahlkampf anführt. Die rund 80 Delegierten stimmten bei einer Gegenstimme mit überwältigender Mehrheit für das basisdemokratische Modell.
Dies ist vor allem ein Erfolg für die Parteivorsitzende. Denn nun hat ein kleiner Parteitag offiziell abgesegnet, was Roth von Beginn an vertrat. Mitte März gab Roth der taz ein Interview, in dem sie in der medial aufgeheizten Debatte um mögliche Grünen-Spitzenkandidaten drei Pflöcke einschlug: Erstens, ein Spitzenteam müsse quotiert sein. Zweitens, bei Konkurrenz könnte eine Urwahl entscheiden. Und drittens, sie, Roth, wäre gerne dabei.
Viel Kritik an der Entscheidung
Ein knappes halbes Jahr später sind alle drei Ankündigungen Realität. Roth tritt neben fünf KandidatInnen an. Das Ergebnis, also das von der Basis gewünschte Duo, soll am 10. November feststehen. Alle haben sich nach Roth gerichtet: der Vorstand und der Parteirat, die beide früh für ein quotiertes Duo votierten. Der Vorstand abermals, indem er dem Länderrat die Urwahl empfahl. Und zuletzt der kleine Parteitag. Am Ende folgten alle ihr.
Dabei sind die Delegierten aus Bund, Europaparlament und Ländern keineswegs überzeugt von dem „ziemlich geilen Start in den Wahlkampf“, den Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke in der Urwahl erkennt. Viele in dem Saal mit geklinkerten Wänden sind keine Fans der Urwahl. Mehr noch, einige Ländervertreter sehen die Abstimmung über reine Personalfragen als nutzlose Selbstbeschäftigung. „Begeistert bin ich nicht“, sagt ein Landesstratege. „Aber jetzt müssen wir das Beste daraus machen.“
Sylvia Löhrmann, Schulministerin in Nordrhein-Westfalen, sieht Vorteile in dem nun beschlossenen Verfahren: „Das Verfahren wirkt wie ein Vorwahlkampf, weil es unsere Mitglieder mobilisiert. Und: Bei der Urwahl wird es eher um Stilfragen als um inhaltliche Fragen gehen.“ Denn inhaltlich gibt es keine großen Differenzen zwischen den zur Wahl stehenden KandidatInnen. Dennoch versuchten alle, auf dem Parteitag Duftmarken zu setzen.
Die Sozialpolitikerin Göring-Eckardt betonte in ihrer Rede zur Energiewende das Motiv sozialer Wärme. Fraktionschefin Renate Künast schlug den Bogen vom Biosprit zur weltweiten Lebensmittelknappheit. Jürgen Trittin zerlegte die schwarz-gelbe Energiepolitik en detail. Und Claudia Roth hielt eine kämpferische Rede gegen Schwarz-Gelb. Sie weiß, wo sie gut ist.
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