piwik no script img

Urteile im „Charlie Hebdo“-Prozess30 Jahre Haft für Hauptangeklagten

14 Komplizen wurden zu Haftstrafen von bis zu 30 Jahren verurteilt. Der Hauptbeschuldigte des Anschlags auf „Charlie Hebdo“ will Berufung einlegen.

Der vorsitzende Richter Régis de Jorna (M.) ließ sich lange Ausführungen nicht nehmen Foto: dpa

Paris taz | Fast sechs Jahre nach der Attentatsserie auf die Satirezeitung Charlie Hebdo und den Supermarkt Hyper Cacher hat das Pariser Sondergericht für terroristische Verbrechen die 14 Komplizen der Attentäter am Mittwoch zu Haftstrafen zwischen 4 und 30 Jahren verurteilt.

Alle elf vor Gericht anwesenden Angeklagten wurden für schuldig befunden, sechs von ihnen aber von der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung freigesprochen. Ihre Taten gelten als Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Der anwesende 35-jährige Hauptangeklagte Ali Riza Polat wurde wegen Beihilfe zum terroristischen Mord zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.

Am Ende der Verhandlungen, die am 2. September begonnen hatten und die wegen der Corona-Epidemie mehrfach unterbrochen werden mussten, hatte der Gerichtspräsident, Régis de Jorna, im Pariser Justizpalast seinen großen Auftritt. Vor dem Verdikt für die Schuldiggesprochenen schilderte er im Einzelnen die Rolle der Mittäter. Denn ausnahmsweise wurde dieser als „historisch“ eingestufte Prozess für Archivzwecke mit mehreren Filmkameras aufgezeichnet.

Die eigentlichen Täter, die Brüder Kouachi, die in der Redaktion von Charlie Hebdo ein Blutbad angerichtet hatten, und der Attentäter Amédy Coulibaly aus dem Hyper Cacher, sind tot und konnten nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Es blieben der Justiz die Komplizen. Das Gericht musste im Detail nachweisen, ob und in welchem Ausmaß jede der insgesamt 14 Personen mehr oder weniger wissentlich zu Mittätern an den Attentaten wurden, die insgesamt 14 Menschenleben gefordert und Frankreich nachhaltig schockiert haben.

Drei Personen in Abwesenheit verurteilt

Nur gegen einen von 14 hat das Gericht alle juristischen Schritte eingestellt und keine Strafe verhängt: Mehdi Belhoucine, der früher bereits wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung mit terroristischen Zielsetzungen verurteilt worden war, gilt wie sein Bruder Mohamed als verschollen, er soll bei Kämpfen in der irakisch-syrischen Kriegszone getötet worden sein.

Mohamed Belhoucine war für seine islamistische Radikalisierung bekannt. Er hat nach Darstellung des Gerichts dem von der Polizei erschossenen Attentäter Coulibaly bei der Organisation des Anschlags auf den Laden Hyper Cacher eine „entscheidend wichtige Hilfe“ geleistet und wurde deswegen – in Abwesenheit – zu einer lebenslangen Haft mit einer Sicherheitsverwahrung von 22 Jahren verurteilt. Diese Auflage bedeutet, dass die Verurteilten während dieser Periode nicht vorzeitig aus der Haft entlassen werden dürfen.

Zu 30 Jahren Haft mit einer 20-jährigen Sicherheitsverwahrung wurde neben Ali Riza Polat auch Coulibalys Ex-Freundin Hayat Boumedienne, die einzige Frau unter den Angeklagten, verurteilt. Sie wurde ebenfalls in Abwesenheit verurteilt, auch sie hatte sich kurz nach den Anschlägen abgesetzt. Polat kündigte unmittelbar nach dem Urteilsspruch an, dass er Berufung einlegen wolle.

Für Amar Ramdani, der „vollauf Kenntnis“, von Coulibalys Vorhaben gehabt und mit einem Betrugsdelikt die Finanzierung des Terroranschlags ermöglicht habe, verkündete der Gerichtspräsident das Strafmaß von 20 Jahren Haft und ebenfalls eine Sicherheitsverwahrung. Gegen die übrigen wegen Beihilfe in unterschiedlichem Grad schuldig Befundenen wurden Gefängnisstrafen ausgesprochen, die zwischen 4 und 18 Jahren betragen. Das geringere Strafmaß für sechs der elf vor Gericht anwesenden Verurteilten erklärt sich damit, dass das Gericht ihnen nicht Terrorismus als erschwerenden Umstand ihrer Beihilfe anlastet.

Pariser Bürgermeisterin würdigt Opfer

Für die Zeitung Charlie Hebdo beweist dieser Prozess, dass sich die Justiz auf die Seite der Pressefreiheit, inklusive blasphemischer Karikaturen, stellt und jede Unterstützung für einen gewaltsamen Angriff im Namen einer terroristischen Ideologie mit aller Schärfe ahndet. In der Nummer vom 16. Dezember, das dem Making-of der Verhandlungen gewidmet ist, schreibt die Satirezeitung im Editorial hoffnungsfroh: „Mit dem Urteilsspruch schließt sich endlich der Kreis der Gewalt, zumindest im strafrechtlichen Sinne, denn in menschlicher Hinsicht werden die Spuren niemals ausgelöscht.“

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo kommentierte auf Twitter das Verdikt: „Im Prozess zu den Attentaten von Charlie Hebdo, Hyper Cacher und Montrouge (wo eine Polizistin vermutlich von Coulibaly erschossen wurde), ist das Recht ergangen.“ Sie würdigte namentlich die Opfer der Zeitung Charlie Hebdo, die beim Attentat ihre bedeutendsten Karikaturisten (Cabu, Wolinski, Charb und Honoré) verloren hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    Was für ein hartes Ringen. Sarkozy wollte Charlie Hebdo verbieten, Sarkozy wollte Charlie Hebdo so klein machen, dass man sie nicht kennt. Sarkozy hat schwerlich eingesehen, dass das Redaktionsteam Personenschutz braucht. Längere Zeit nahm man an die Einflußgrößen von aussen auf die Arbeitsbedingungen wären nur bei Charlie Hebdo so speziell. Inzwischen weiß man, dass es weit mehr Berufstätige so treffen kann. Die einen werden aus dem Job geschleudert, weil sie sich nicht der organisierten Kriminalität beugen wollen. Andere werden gekündigt weil sie mit eigenen Gedanken gehen und dadurch den Arbeitgeber verärgern. Welche Toleranz und Meinungsfreiheit ist gemeint, wenn Abgeordnete dies als wichtiges Gut erklären.