Urteil zur EU-Integration: Karlsruhe prüft Lissabon-Vertrag
Das Verfassungsgericht entscheidet, ob Deutschland dem EU-Reformvertrag überhaupt zustimmen durfte. Die Bedenken der Kläger treffen bei konservative Richter auf offene Ohren.
BERLIN taz | Das Bundesverfassungsgericht will am Dienstag Europapolitik machen. In seinem mit Spannung erwarteten Urteil zum EU-Reformvertrag wird es dieses Abkommen zwar kaum für verfassungswidrig erklären. Die Richter dürften aber Hinweise auf Möglichkeiten und Grenzen der weiteren EU-Integration geben.
Der umstrittene EU-Reformvertrag wurde Ende 2007 von den Regierungschefs der 27 EU-Staaten in Lissabon unterzeichnet und wird deshalb auch Lissabon-Vertrag genannt. Er ist die abgespeckte Version der einst geplanten EU-Verfassung, die 2005 bei Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden scheiterte.
Mit dem Reformvertrag soll die Europäische Union effizientere Strukturen erhalten: Im EU-Ministerrat soll häufiger als bisher mit Mehrheit abgestimmt werden und das Europäische Parlament bekäme mehr Einfluss - vor allem auf die EU-Rechts- und Innenpolitik. Die die europäische Außenpolitik würde besser koordiniert werden. Zudem sollen europäische Grundrechte in einer Charta ausdrücklich garantiert werden. Dabei werden jedoch keine wesentlichen neuen Befugnisse auf die Europäische Union übertragen.
Der deutsche Bundestag und Bundesrat haben dem Vertrag bereits im Mai vergangenen Jahres mit jeweils großer Mehrheit zugestimmt. Bundespräsident Horst Köhler hat daraufhin das deutsche Zustimmungsgesetz zwar unterzeichnet. Die Ratifikationsurkunde wurde aber aus Rücksicht auf das Karlsruher Verfahren noch nicht an die EU abgesandt.
Deutschland gehört damit neben Irland, Tschechien und Polen zu den vier Staaten, in denen der Zustimmungsprozess noch nicht völlig abgeschlossen ist.
Gegen den neuen EU-Vertrag hatten sowohl CSU-Querkopf Peter Gauweiler als auch die Linksfraktion unter Oskar Lafontaine geklagt. Gauweiler warnte davor, dass der Bundestag bald nicht mehr viel zu entscheiden habe. Dann sei Deutschland kein richtiger Staat mehr und das Wahlrecht entleert. Die Linke behauptete außerdem, dass die Europäische Union vertraglich auf eine neoliberale und militaristische Politik festgelegt werde.
Als Entscheidungsmaßstab benannten die Karlsruher Richter bei der Verhandlung im Februar vor allem zwei Kriterien. Danach ist der Lissabonner Vertrag mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn die Demokratisierung der EU mit der zunehmenden Integration Schritt hält und in Deutschland eine lebendige Demokratie bestehen bleibt.
Überwiegend hatten die Kläger Argumente vorgebracht, die die Europäische Union generell betreffen und mit dem neuen Vertrag wenig zu tun haben. Kritisiert wurden zum Beispiel Mehrheitsabstimmungen, bei denen Deutschland überstimmt werden kann, obwohl das Bundesverfassungsgericht solche Fragen schon in seiner Maastricht-Entscheidung von 1993 geklärt hatte.
Vor allem bei den vier konservativen Richtern des achtköpfigen Senates schienen die Bedenken aber auf offene Ohren zu stoßen. So fragte etwa der federführende Richter Udo di Fabio, ob die zunehmende EU-Integration "in der Tendenz freiheitsgefährdend" sei. Am zweiten Prozesstag war das Klima dann aber deutlich EU-freundlicher. Am Bundesverfassungsgericht wird die EU-Reform also wohl doch nicht scheitern.
Spannend wird aber, welche Richtung Karlsruhe für die Zukunft weist. Wird es noch mehr Mitwirkung des EU-Parlaments fordern oder eher vor dessen Stärkung warnen, weil kleine Staaten dort überrepräsentiert sind? Wird das Gericht absolute Grenzen der EU-Integration benennen, die nur noch mit einer Volksabstimmung überschritten werden können? Welche Prüfungsrechte behält sich Karlsruhe selbst für die Zukunft vor?
Das Urteil wird vom zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts am Dienstagvormittag verkündet.
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