piwik no script img

Urteil zu LebensversicherungenNachzahlung für Ex-Versicherte

Wer seinen Vertrag vorzeitig kündigt, bekommt häufig wenig Geld. Das ist nicht rechtens, urteilt Hamburger Gericht. Pro Vertrag könnten 500 Euro fällig werden.

Die wenigsten Kunden lassen ihre Lebensversicherung bis zum Ablauf des Vertrags laufen. Bild: filippocc-by-sa

Millionen von Versicherten können hoffen, Geld zurückzuerhalten: Am Dienstag bestätigte das Hanseatische Oberlandesgericht ein Urteil des Hamburger Landgerichts vom vergangenen November. Vier Versicherungskonzerne wurden verpflichtet, den Rückkaufswert ihrer Lebensversicherungen höher anzusetzen. Dieses Grundsatzurteil betrifft die gesamte Branche: Auf die Lebensversicherer könnten Forderungen in Milliardenhöhe zukommen.

Zum Hintergrund: Die Deutschen haben aktuell rund 95 Millionen Lebensversicherungsverträge abgeschlossen. Doch nur die wenigsten Kunden halten bis zum Ende durch, wie Verbraucherschützer festgestellt haben. 50 Prozent der Lebensversicherungen werden ganz gekündigt und weitere 30 Prozent nicht bis zum Ende bedient.

Doch der Ausstieg kann teuer sein. Die Lebensversicherungen "zillmern" nämlich: Die Verträge sind so konstruiert, dass die Raten der ersten Jahre vor allem dazu dienen, die hohen Gebühren und Provisionen der Konzerne abzudecken. Daher tendiert der "Rückkaufswert" oft gen null, wenn eine Lebensversicherung kurz nach Vertragsabschluss wieder aufgelöst wird. Der Versicherte sieht von seinen Einzahlungen fast nichts wieder - und an eine Rendite ist schon gar nicht zu denken.

Diese Praxis wurde schon 2005 vom Bundesgerichtshof (BGH) verworfen, der damals entschied, dass die Rückkaufswerte bei mindestens 50 Prozent der Einzahlungen anzusetzen seien. Allerdings wurden damals nur Verträge berücksichtigt, die zwischen 1994 und 2001 abgeschlossen und schon wieder gekündigt worden waren.

Diese Lücke schließt nun das neue Urteil, das von der Verbraucherzentrale in Hamburg angestrengt wurde: Das Oberlandesgericht stellte auch für die Verträge zwischen 2002 und 2007 fest, dass "die Versicherungsnehmer nicht mit ausreichender Deutlichkeit darüber informiert wurden, dass (…) in den ersten Versicherungsjahren die gezahlten Prämien fast vollständig durch die Verrechnung mit Abschlusskosten aufgezehrt werden". Edda Castelló von der Hamburger Verbraucherzentrale geht davon aus, dass die Konzerne pro gekündigtem Vertrag 500 Euro nachzahlen müssen. "Das könnten insgesamt 12 Milliarden Euro sein", rechnet Castelló vor, da pro Jahr 3 bis 4 Millionen Lebensversicherungen wieder aufgelöst würden. Noch ist das Urteil allerdings nicht rechtskräftig: Castelló erwartet, dass die Versicherungskonzerne Revision beim BGH einlegen. "Trotzdem sollten sich die betroffenen Kunden umgehend bei ihrer Lebensversicherung melden", rät Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten. Denn der BGH hat vor kurzem entschieden, dass die Ansprüche nach fünf Jahren verjähren.

Das bedeutet: Nur wer seine Lebensversicherung nach 2004 gekündigt hat, kann auf Erfolg hoffen, wenn er von seiner Versicherung einen höheren Rückkaufswert verlangt. Musterbriefe gibt es bei der Hamburger Verbraucherzentrale (www.vzhh.de)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!