Urteil zu Krankenhaus-Serienmörder: Lebenslang für Niels Högel
Das Gericht verurteilt den Ex-Krankenpfleger wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Es konnte ihm aber nicht alle angeklagten Taten nachweisen.
Högel war des einhundertfachen Mordes angeklagt. Er hat ihm anvertrauten Patient*innen nicht angeordnete Kreislaufmedikamente gespritzt, um sich bei den anschließenden Reanimationen zu profilieren. Die Taten beging er im Zeitraum zwischen 2000 und 2005 im Klinikum Oldenburg und in Delmenhorst.
„Ihre Taten sind unbeschreiblich“, sagte Richter Sebastian Bührmann zu Högel. „Es sind so viele, dass der menschliche Verstand kapituliert vor der Anzahl der Taten.“ Als er mit Högel in dessen Vernehmung jede einzelne Tat durchging, sei er sich wie ein Buchhalter des Todes vorgekommen, so Bührmann. Unbegreiflich sei das Wort, das das Verfahren geprägt habe. Högels Schuld sei „unfassbar“.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen 97-fachen Mordes gefordert, die Verteidigung hatte in 55 Fällen auf Mord, in 14 Fällen auf versuchten Mord plädiert und in 31 Fällen auf Freispruch. Das Gericht sah schließlich 85 Morde als erwiesen an. Högel selbst hatte 43 Taten gestanden. Für die Verurteilung waren die Gutachten der medizinischen Sachverständigen für das Gericht von besonderer Bedeutung. In 15 Fällen seien die jedoch nicht eindeutig genug für eine Verurteilung gewesen, erklärte Richter Bührmann. Im Zweifel müsse dann für den Angeklagten entschieden werden.
Richter Sebastian Bührmann
Bei keinem dieser 15 Verstorbenen könne das Gericht aber eindeutig sagen, dass Högel ihn oder sie nicht tötete. Bührmann machte deutlich, die Angehörigen dieser Menschen zu enttäuschen, sei nicht leicht. „Herr Högel hat ihre Würde und die ihres Verstorbenen mit Füßen getreten“, sagte er in Richtung der Nebenkläger*innen. Emotionale Beweggründe dürften aber nicht die Rechtsprechung beeinflussen.
Bührmann übte in seiner Urteilsbegründung erneut Kritik am Aussageverhalten einiger Klinikmitarbeiter*innen aus Oldenburg. „Es gab Unwillen und es gab auch Vertuschung“, sagte er. Gegen einige wird jetzt wegen Meineids ermittelt, gegen andere wegen Totschlags durch Unterlassen. Auch der Auftritt des Geschäftsführers des Klinikums Oldenburg, Dirk Tenzer, sei „unglücklich“ gewesen, so Bührmann. Er habe nicht plausibel erklären können, warum er wichtige Unterlagen erst mit jahrelanger Verzögerung der Staatsanwaltschaft aushändigte.
Keine Sicherungsverwahrung
Niels Högel las sein letztes Wort bereits am Mittwoch vor. Er entschuldigte sich darin bei den Angehörigen der Opfer, seinen Kolleg*innen und seiner Familie für seine „unfassbaren Taten“. Er habe den Prozess nicht nutzen wollen, um in einem besseren Licht dazustehen. „Reue und Scham sind meine Begleiter“, sagte Högel. Das Urteil nahm er ruhig hin.
Eine Sicherungsverwahrung ordnete das Gericht nicht an. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür sind kompliziert. Die Anordnung würde nicht dafür sorgen, dass Högel länger in Haft bleibt, erklärte Richter Bührmann. Högel wird erst entlassen werden, wenn ein Gutachter feststellt, dass er für die Allgemeinheit nicht mehr gefährlich ist. Weil er nachweislich mehrfach gelogen hat, habe sich seine Perspektive verschlechtert, sagte Bührmann zu Högel. „Lebenslang kann auch ein Leben lang bedeuten.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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