■ Urteil im Streit amnesty international versus Colonia Dignidad: Schaler Sieg, unterlassene Hilfe
Amnesty international hat im 20jährigen Rechtsstreit mit der Colonia Dignidad vorerst recht bekommen. Nun darf auch diese Organisation sagen, was inzwischen alle wissen – daß in der von Deutschen geführten Sektensiedlung in Südchile zu Zeiten der Pinochet-Diktatur gefoltert wurde. Ein Erfolg mit schalem Beigeschmack, symptomatisch für den deutschen Umgang mit dem Thema. Das Gericht würdigt weder die eigenen Untersuchungen von Ende der 80er Jahre noch die Beweise, die ai vorgelegt hat, sondern konzentriert sich ausschließlich auf den formalrechtlichen Aspekt, daß mit dem Verschwinden des einst in Siegburg ansässigen deutschen Trägervereins und dem gerichtlichen Beschluß zur Auflösung der Colonia Dignidad in Chile kein Kläger mehr vorhanden sei. So hat letztlich die Prozeßdauer das Verfahren entschieden: ein peinlicher Vorgang.
Die deutsche Justiz und Politik haben es in den vergangenen 35 Jahren konsequent vermieden, sich mit der Colonia Dignidad ernsthaft zu befassen. Die Vorwürfe des Kindesmißbrauchs, die jetzt die chilenische Gesellschaft erzürnen, hatten schon 1961 zur Flucht Schäfers aus Deutschland geführt – was freilich die deutsche Botschaft in Santiago nicht daran hinderte, zur Colonia Dignidad jahrelang allerbeste Kontakte zu unterhalten. Statt ihrer Fürsorgepflicht für deutsche Bürger nachzukommen, die ganz offensichtlich unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten wurden, ließ sich die Botschaft von der Kolonie Lebensmittel liefern. Menschen, die aus der Colonia entkamen, berichteten von sexuellen Übergriffen und systematischen Mißhandlungen – kein Thema für die deutschen Behörden. CSU-Funktionäre pflegten beste Beziehungen zum Kindervergewaltiger Paul Schäfer, ein einflußreicher „Freundeskreis Colonia Dignidad“ unterstützte die Sekte von Deutschland aus.
Die Colonia war ein weiterer deutscher Sündenfall, und wer es wissen wollte, wußte das auch – und schaute gerade deshalb verschämt weg. An der Untätigkeit der Justiz hat sich nichts geändert. Obwohl jeder weiß, daß die Colonia aus einflußreichen Kreisen des chilenischen Behördenapparates gedeckt wird – ein Dankeschön für erwiesene Dienste –, tun Justizministerium und Auswärtiges Amt einfach nichts und wiederholen seit Jahren lediglich, es sei besser, sich da nicht einzumischen. Jahre, in denen in der Colonia weiter Kinder vergewaltigt, geschlagen, erniedrigt wurden. Das ist, juristisch gesprochen, unterlassene Hilfeleistung im besonders schweren Fall. Bernd Pickert
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