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Urteil im BerufungsverfahrenEine Pussy-Riot-Sängerin freigelassen

Überraschendes Urteil im Berufungsprozess zu Pussy Riot: In einem Fall wurde die Strafe auf Bewährung ausgesetzt. Die anderen Musikerinnen müssen zwei Jahre ins Straflager.

Nur eine durfte gehen: Jekaterina Samuzewitsch (links) muss nicht ins Straflager. Bild: dapd

MOSKAU dapd/dpa | Ein Mitglied der Moskauer Polit-Punkband Pussy Riot ist überraschend freigelassen worden. Ein Berufungsgericht in Moskau setzte am Mittwoch das Urteil von zwei Jahren Straflager zur Bewährung aus. Die 30 Jahre alte Jekaterina Samuzewitsch kam unter Applaus auf freien Fuß.

Das Urteil gegen Samuzewitsch sei aufgehoben worden, weil sie von Wachleuten aus der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau geworfen worden sei, bevor sie an der Protestaktion habe teilnehmen können, teilte das Gericht am Mittwoch mit.

Dagegen müssen die beiden anderen Aktivistinnen, Nadeschda Tolokonnikowa (22) und Maria Aljochina (24), tatsächlich für zwei Jahre ins Straflager, wie Richterin Larissa Poljakowa am Moskauer Stadtgericht mitteilte. Die beiden sind Mütter von Kleinkindern. Die drei Frauen waren im August wegen einer Protestaktion gegen Kremlchef Wladimir Putin in einer Kirche verurteilt worden.

„Wir wollten niemanden beleidigen“

Bei der Anhörung vor Gericht argumentierten die drei Frauen, dass ihre Protestaktion kein Angriff auf die Religion gewesen sei. „Wir wollten niemanden beleidigen“, sagte Aljochina. Sie hätten gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und auch gegen die Orthodoxe Kirche protestiert, die seine Herrschaft unterstütze. „Wir sind in die Kathedrale gegangen, um dagegen zu protestieren, dass sich die politischen und spirituellen Eliten vereinen“, erklärte Aljochina.

Ministerpräsident Dmitri Medwedew hatte mit einer Forderung nach Milde Mitte September die Hoffnung genährt, dass die Angeklagten auf Bewährung frei kommen könnten. Die drei Frauen weiter in Gefangenschaft zu halten sei „unproduktiv“, sagte Medwedew.

Das umstrittene Urteil aus erster Instanz wegen Rowdytums und der Verletzung der Gefühle von Gläubigen war international auf Kritik gestoßen. Die Verteidigung hatte den Prozess als politisch motiviert kritisiert und beantragt, alle seit März inhaftierten Aktivistinnen freizulassen. Zuletzt hatte Putin die Inhaftierung und das Vorgehen des Gerichts ausdrücklich gelobt.

Die Frauen sind von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International als politische Gefangene anerkannt. Die Musikerinnen hatten in einer umstrittenen Aktion im Februar vor der Präsidentenwahl in der Erlöserkathedrale in Moskau mit Strumpfmasken für ein politisches Ende Putins demonstriert. Das Protestgebet hatte die russische Gesellschaft tief gespalten.

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10 Kommentare

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  • H
    Hendrix

    Benz, wir sind uns hier weniger als einig.

     

    Verbrechen wurden hier bislang nur vom Putin-Regime begangen, insbesondere von der gleichgeschalteten Richterin und der korrupten Staatsanwaltschaft. Das Bürschlein Putin hat den Befehl für die Verurteilung gegeben und das Urteil festgelegt. Mindestens dieser Personenkreis muss für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.

  • B
    Benz

    @Hendrix

    Für einmal bin ich mit Ihnen einig: Die Begründung, warum die eine Pusse nur eine bedingte Strafe bekommt, ist tatsächlich ein Witz.

     

    In jeder Gesellschaft gibt es nicht nur strafrechtliche Sanktionen, sondern auch soziale. Wer z.B. ständig rassistische Aeusserungen macht, wird von seinen Arbeitskollegen gemieden. Wer gar, wie die Pussen, Verbrechen verübt hat, muss ebenfalls mit entsprechenden Reaktionen seiner Mitbürger rechnen. Ich vertraue hier auf das Gerechtigkeitsgefühl der Russen. Dass die Pussen ihren tierischen Instinkten freien Lauf liessen und ihre Mitbürger massiv verhöhnten, hat ihnen sicher keine Symphatien eingebracht.

  • H
    Hendrix

    Klassischer Versuch des Putin-Regimes die Band zu spalten. Alte sowjetische KGB-Methoden. Die Begründung der Freilassung von Samuzewitsch ist ein Witz; als ob das nicht schon seit Monaten bekannt war.

     

    @Benz

    Klingt nach Aufruf zur Selbstjustiz. Ihre Vorstellungen von Demokratie sind wie immer höchst lückenhaft, ein wüstes Gebräu aus sowjetischem und frühkapitalistischem Denken.

  • B
    Benz

    @Gata

    Extremistische Aktionen ziehen eben starke Reaktionen nach sich. Das ist geradezu ein physikalisches Prinzip.

     

    Ebenso ist es nicht verwunderlich, dass im Falle von Staatsversagen die Zivilgesellschaft die anstehenden Probleme selbst löst. Aktive, engagierte Bürger nehmen die Dinge in die eigenen Hände und warten nicht auf Vater Staat.

  • G
    Gata

    "Einziger Trost ist, dass wenn die Pusse in Freiheit ist, sich Möglichkeiten ergeben, sie vor der Zivilgesellschaft zur Verantwortung zu ziehen."

     

    Das sagt alles aus.

     

    Vom Zustand der Zivilgesellschaft des heutigen Russlands zeugen die toten Journalisten der Nowaja Gazeta.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Amnesty nimmt Geld von Vereinen, die den amerikanischen Behörden nahe stehen. Für mich ist die Organisation deshalb inzwischen unglaubwürdig. Statt sich um die erschütternden Zustände in amerikanischen Gefängnissen zu kümmern oder Bradley E. Manning, den großen Aufklärer amerikanischer Kriegsverbrechen im Irak , zu kümmern, arbeitet die einstige Gefangenenhilfsorganisation aufseiten der US-Regierung gegen Russland. Die Pussy Riots wollten es so ,wie es gekommen ist. Sie wussten ,dass die Handlungen die sie begingen in allen europäischen Staaten strafbewehrt sind. Die Strafzumessung ist im unteren Drittel des Möglichen geblieben. Sie wollten, dass dieser Fall auf weltpolitischer Bühne ausgetragen wird. Das bedeutet, der Westen macht Druck und Russland kann aus inneren Interessen nicht nachgeben. Der erfolgte Freispruch zeigt trotzdem, dass die russische Justiz offensichtlich unabhängig arbeitet. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, das im amerikanischen „Rechtsstaat“ viele Unschuldige bereits in den Todeszellen sitzen. Amnesty International scheint sie vergessen zu haben, weil die politische Showbühne wichtiger ist.

  • R
    Rätselnd

    Nicht, dass diese Nachricht unwichtig sei. Auf keinen Fall!! Interessant ist jedoch, dass die taz es verpasst hat, einen Bericht über den heutigen Prozess gegen den Salafisten in Bonn zu verfassen.

    Ist das nicht wichtig?

    Schließlich ist es eine wichtige Sache, wenn sich jemand bei Mordabsicht und schwerer Körperverletzung auf die Scharia beruft, obwohl die Salafisten und andere die Möglichkeit hatten mit demokratischen Mitteln gegen pornNRW vorzugehen.

    Oder handelt es sch wieder einmal um selektive Wahrnehmung?

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Gerade die 3 semitischen monotheistischen Relgionen sind als Staatsreligionen konzipiert. Beim Christentum hat man es soweit "ungedreht", dass sogar die Märtyrerverbrenungen die Urchristen in Rom IM NAMEN CHRSITI von RÖMISCHEN Päbsten an Häretikern und "Hexen" jahrhundertelang selbst verbochen worden. Der Gebrauch der russisch-orthodoxen Kirche durch das Zarentum war genauso offensichtlich.

     

    Die Literatur Russlands ist voll davon.

     

    Heintrich der 8. in England hat auch keinen Zweifel am staatspolitichen Charakter der von ihnen befohlenen anglikanischen Staatskirche gelassen.

     

    Eine Bewährungstrafe is unangenehm genug, die beiden anderen fügen der wirklich grauenvollen und völlig "überflpüssifg wie ein Kropf" Märtyrergeschichte der Menschheit unfreiwillig je 2 Jahre Lagerhaft hinzu. Es sei denn, die Berufungsinstanzen sind noch nicht ausgeschöpft.

     

    Die "Psychologuie des Priesters", paternalistisch, dominiert immer noch Sitten und Gebräuche, am schlimmsten mit der "giftigen Pflanze schlechtes Gewissen" - mit "Aufsetzpunkt" Sexualiität. . Die Staats-KIrche als "Transmissionxsriemen" autoritär despotischer Macht.

    Die Politisierung der Kirchen hat ihren Untergang und Ablösung durch Philosophhie und Wissenschaft im Westen erzwungen, wegen der blutigen Konfliktaustrgungen.

     

    Ja, da ist man dan fast überal auf halbem Wege steckengeblieben. Auch im Ostblock.

     

    Der ganze Weg, die Philosophie mit Unsterblichkeitsbehandlung und Integration der schon weit fortgeschritten weltweiten (Yoga)Techniken und Grundlebgung der universalen Wissenschaft und Staatstbheorie mit Naturrecht sowie einer anhtroplogisch, auch neurlogisch psychologisch fundierte Ethik und Moral ist mit der Spinozaschule voll lehrfähig akademisch ausgearbeitet.

    Wie Nietzsch, sein "Nachfolger" schon anmahnte: Der redliche Menasch mus jetzt zu Spinoza greifen.

     

    Richtig, nichts empört mehr als sinnloses Leiden, wusste Nietzsche.

    Modern ist die Fassung von Deleuze/Guattari: Anti-Ödipus. Auch ein ganze Schule mit Negri/Hardt als aktuelste Entwicklung. Auch eine Musikästheitik und Popkulturanalyse ist dabei.

  • B
    broxx

    "Wir wollte niemanden beleidigen" das sagt auch der Mohammed-Videomacher. Und, hat das in der deutschen Presse irgendjemanden interessiert?

  • B
    Benz

    Unglaublich, das gibts doch nicht! Ein schwerer Schlag für die Gerechtigkeit, für das gesamte russ. Justizsystem!

    Es hiess doch, alle 3 Pussen hätten die Tat zugegeben?

     

    Ich vermute, das Urteil basiert mehr auf dem massivem Druck auf die Richter als auf sauberer Aufarbeitung des Falles. Die politische Einflussnahme auf den Fall, der Druck auf die Justiz, die Täter freizulassen, ist schlicht skandalös. Jeder Richter sollte sein Urteil unabhängig von äusseren Beeinflussungen fällen können.

     

    Einziger Trost ist, dass wenn die Pusse in Freiheit ist, sich Möglichkeiten ergeben, sie vor der Zivilgesellschaft zur Verantwortung zu ziehen.