■ Urteil gegen Krenz bestätigt, Gauck redet im Bundestag: Falsche Symbole
Der ehemalige Staatsratsvorsitzende Egon Krenz auf den Titelseiten der Tageszeitung, der heutige Stasiverwalter Joachim Gauck als Festredner im Bundestag. Es gibt kaum eine geeignetere Symbolik, die das deutsch-deutsche Dilemma zehn Jahre nach dem Fall der Mauer beschreiben kann. Die geschundene Seele der Ostdeutschen ist so sehr erpicht auf ein Symbol, das ihr Selbstbewusstsein stärkt. Doch dem Westen will ein solches einfach nicht gelingen.
Warum musste das Politbüro-Urteil ausgerechnet ein Tag vor dem Datum gesprochen werden, an dem dessen Mitglieder Krenz, Kleiber und Schabowski die Mauer öffneten?
Es war ein Trugschluss zu glauben, Geschichte könne juristisch aufgearbeitet werden. Die Deutschen des Ostens gingen für mehr Gerechtigkeit auf die Straße und bekamen den Rechtsstaat. Der Versuch der bundesdeutschen Justiz, nun all das persönliche Leid, das Menschen in der DDR widerfahren ist, mit den Namen Krenz, Schabowski, Kleiber zu verknüpfen, leuchtet nicht einmal den Ostdeutschen ein. Zu konstruiert erscheint der Vorwurf, allein wegen ihrer Zugehörigkeit zum Politbüro Verantwortung für die letzten Mauertoten zu haben. Nur als peinlich können die Vorbereitungen auf die heute im Reichstag stattfindende parlamentarische Gedenkveranstaltung bezeichnet werden. Zehn Jahre hatten die Organisatoren Zeit, sich Gedanken zu machen. Eine Woche vor Ultimo fiel auf, dass die Macher, die Ostdeutschen, nicht repräsentiert sind. Eiligst musste ein Kompromiss her, um die Lage zu retten. Kompromisse aber sind nur selten gut. Das zeigt sich an Joachim Gauck.
Gaucks Name ist mit dem Verwalten von Stasi-Akten verbunden, nicht mit der Demokratie-Bewegung im 89er Herbst. Kein Ostdeutscher verbindet mit seinem Namen das Glücksgefühl, das ihm beim ersten Überschreiten des bis dato Eisernen Vorhangs zuflog. Vielen wird beim Namen Gauck eher flau im Magen: Zu dumpf waren manche der Stasidebatten, Stasienthüllungen, Stasianschuldigungen, geführt in Medien, die von der Westsicht dominiert sind.
Die Deutschen des Ostens wollen nicht viel. Sie wollen nur einmal, ein einziges Mal, als Subjekt in die deutsche Geschichte eingehen dürfen. Mit einem Redner Gauck bleibt ihnen das verwehrt. Der Westen macht die Symbole. Der Osten bleibt enttäuscht. Dabei wäre es diesmal so einfach gewesen, die Deutschen in Ost und West ein Stück näher zusammenzubringen. Nick Reimer
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