: Urteil gegen Erpresser
■ Zwei Jahre auf Bewährung für den Versuch, Seiters zu erpressen
Moabit. „Ohne Kenntnis der Lebensgeschichte des Angeklagten läßt sich die Tat nicht erfassen und nicht bewerten“, begann Richter Lange die Begründung des Urteils gegen den 37jährigen DieterZ., der im März versucht hatte, vom Bundesinnenministerium zwölf Millionen Mark zu erpressen. In zwei Schreiben an Minister Seiters hatte der Angeklagte mit Politikerattentaten, der Verseuchung des Grundwassers und Angriffen auf Bahngleise gedroht. Die 30.Strafkammer des Landgerichts ließ bei ihrem gestrigen Urteil Gnade und Recht walten: die Haftstrafe von zwei Jahren wurde zur Bewährung ausgesetzt.
In seinen Briefen hatte sich der 37jährige als „Mitglied einer militärischen Sondereinheit eines Staates, der nicht mehr existiert“ ausgegeben und damit bei dem damaligen Bundesjustizminister Kinkel den Verdacht erregt, daß es sich um die Drohungen früherer Stasi-Aktivisten handeln könne. Doch das war weit gefehlt: der Angeklagte gehörte vielmehr zu den Opfern des DDR-Obrigkeitsstaates.
Als Sohn eines NVA-Offiziers, unter dessen militärischer Strenge er gelitten habe, so der Richter, habe der 37jährige „eine neurotische Grundhaltung gegenüber jedweder Autorität“ entwickelt. Das sei durch seine Erfahrungen in der DDR chronisch geworden. Von der Stasi wurde er gezwungen, seine Ausbildung zum Militärpiloten abzubrechen, weil seine Frau Westkontakte unterhielt. Seine Frau aber verließ er nicht und bekam fortan bei seinem beruflichen Werdegang Steine in den Weg gelegt.
1987 durfte der geborene Görlitzer mit seiner Familie die DDR verlassen. Nach der Wende scheiterte der Versuch, sich in Görlitz selbständig zu machen. Ihm begegnete der „alte Filz“ – im Stadtrat saßen ehemalige Parteifunktionäre. Im Gerichtssaal hatte der 37jährige als Motiv für den Erpressungsversuch genannt, daß er „auf die Gefahr, die von Stasi-Seilschaften ausgeht“, aufmerksam machen wolle. Nach Ansicht des Richters hat der Angeklagte die Bundesregierung verantwortlich für die „alten Zustände“ gemacht. Er habe sich auch bereichern wollen. Nur so sei zu erklären, daß er BKA-Beamte „wie bei einer Schnitzeljagd“ durch Berlin gehetzt habe. Ebenso ließe der Erpressungsversuch eines Bremer Kreditvermittlers darauf schließen, von dem er 100.000 Mark gefordert und ihm mit „Hinrichtung“ gedroht hatte. Die „kriminelle Energie“ sei aber nicht hoch gewesen und keinerlei Hinweise gebe es darauf, daß er seine Drohungen wahr machen wollte. Der Richter hielt ihn nach neun Monaten Untersuchungshaft für geläutert. rak
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