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Urteil Bundesgerichtshof„Probesitzen“ in der Zelle verboten

Der Freispruch für einen Richter wird aufgehoben, der einen Angeklagten zur Einschüchterung in eine Gefängniszelle gesperrt hatte. Der Prozess wird nun wiederholt.

Und wenn's nur kurz ist: Mal eben so zur Probe einschließen geht nicht – auch nicht für einen Richter. Bild: dpa

KARLSRUHE taz | Wer als Richter einen Angeklagten einschüchtert, indem er ihn kurzfristig einsperrt, macht sich wegen Rechtsbeugung schuldig. Das stellte jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Fall aus Nordhessen klar.

Im September war am Amtsgericht Eschwege ein Exhibitionist angeklagt. Er hatte mit entblößtem Glied einen McDonald’s-Imbiss betreten. Gegen den Strafbefehl über 400 Euro hatte er Einspruch eingelegt, deshalb kam es zur Verhandlung beim damals 33-jährigen Proberichter Christoph R.

Der Angeklagte behauptete, er habe nicht gemerkt, dass sein Glied aus der Hose hing. Das fortgesetzte Leugnen brachte Richter R. in Rage. Als alles Drängen auf ein Geständnis nichts nutzte, unterbrach R. die Sitzung und führte den Angeklagten in den Keller des Gerichts zu den Gewahrsamzellen. „Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann.“ Daraufhin sperrte er den verunsicherten Angeklagten ein – zwar nur für zwanzig Sekunden, und der Angeklagte hätte die Prozedur durch Rufen auch abkürzen können. Doch die Schockbehandlung wirkte. Im Gerichtssaal legte der eingeschüchterte Mann, der keinen Verteidiger hatte, ein umfangreiches Geständnis ab.

Das Landgericht Kassel sprach ihn im September 2011 frei. R. habe nicht darauf abgezielt, ein Geständnis zu erpressen, da sich der Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl nach R.s Vorstellung nur auf die Strafhöhe bezog. Deshalb liege weder Rechtsbeugung noch Aussageerpressung vor.

Das sah der zweite Strafsenat des BGH nun anders. Selbst wenn es nicht auf das Geständnis ankam, so habe Richter R. doch auch erreicht, dass der Angeklagte sogleich auf die Berufung verzichtete und das Urteil rechtskräftig wurde.

Richter R. hatte sich bei der Verhandlung in Karlsruhe gerechtfertigt, mit bestimmten Menschen müsse man auch mal „in einem anderen Ton sprechen“. Der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Fischer fragte empört nach: „Und wenn die Welt sich nicht verbessern lässt, dann geht man eben in den Keller?“ Proberichter R. wurde nach dem Vorfall nicht übernommen und arbeitet nicht mehr als Richter. Der Prozess gegen R. muss nun vor dem Landgericht Kassel wiederholt werden. Eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung dürfte nach dem BGH-Urteil sicher sein. Az.: 2 StR 610/11

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19 Kommentare

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  • B
    Böhme

    Ähem, Räusper: Also, wenn ich die Beiträge hier lese ... ich dachte eigentlich, dass die taz-Leser ein gehobenes Niveau hätten.

     

     

    Zur Sache selbst: Es ist wirklich erschütternd, was es gelegentlich für Richter gibt. Was reitet so jemanden wie Proberichter R.? Insbesondere erstaunlich, dass sich ein Proberichter so etwas erlaubt. Wer Richter wird, muss überdurchschnittliche Examina (deren 2) vorweisen können. Wie aber konnte es passieren, dass jemand zwei Prädikatsexamina erlangt, der sich später solche Schoten, die niveaumäßig noch unter dem Dorfrichter Adam im "Der zerbrochene Krug" liegen, leistet? Dem Himmel sei dank, dass der Mann nicht mehr Richter ist.

  • B
    Bluescreen

    von Rizo:

    @ Bluescreen:

    Wer sich keinen Anwalt leisten kann, bekommt einen gestellt. So "schlimm" ist unser Rechtssystem...

     

    So einfach ist es leider nicht. In der Regel bekommt man nur dann einen Pflichtverteidiger gestellt wenn man z.B. schon in Untersuchungshaft sitzt. Sofern man noch in Freiheit ist, bekommt man einen Pflichtverteidiger nur dann wenn man eine Mindeststrafe von 3 oder 6 Monaten zu erwarten hat. Übrigens unabhängig vom eigenen Einkommen. (Genaue Zahl ist mir im Moment nicht geläufig)

    Was man umsonst bekommt ist eine Rechtsberatung am Gericht und selbst die kostet je nach Standort des Gerichtes gerne mal 20€ oder mehr. Von umsonst kann eigentlich keine Rede sein. Dies bezieht sich alles auf das Strafrecht. Im Zivilrecht sieht es anders aus, dort bekommt man selbst für einen Streit über 10 Cent einen Anwalt gestellt, allerdings nur wenn man selbst keinen Anwalt bezahlen kann.

  • F
    fidel

    @ viccy

    dein nick lässt auf weiblich schließen, falls dem so ist, habe ich angst um dich. falls du männlich bist: es gibt in wirklichkeit keine frauen, die auf massenabfertigung und die benutzung von flaschen beim geschlechtsverkehr stehen. mittels der flasche wurde sie nämlich ebenfalls beglückt und erheblich verletzt.

  • R
    Referendar

    @fidel: Was soll der Verweis auf den Artikel im Weserkurier? In dem dort behandelten Verfahren wurden sechs Männer vom Vorwurf der gemeinschaftlichen Vergewaltigung freigesprochen, weil sich kein Vorsatz nachweisen ließ. Wissen Sie es besser? Hatten Sie Akteneinsicht oder haben Sie am Verfahren teilgenommen? Sind Sie überhaupt juristisch in irgendeiner Art und Weise befähigt, darüber zu entscheiden, ob ein Mensch einen Straftatbestand verwirklicht hat oder nicht? Ich gehe davon aus, dass Sie jede meiner Fragen mit "Nein" beantworten müssen.

     

    Im Übrigen sei erwähnt, dass fachlich fundiertere Kommentare von einem Menschen, der den Namen "Fidel" verwendet, wohl kaum erwartet werden können. Vielleicht halten Sie es ja mit der Unschuldsvermutung ähnlich wie Ihr Namensvetter; das mag dann so manches erklären.

  • V
    viccy

    Fidel, Du hattest behauptet, es gibt für - nachgewiesene (!) - Vergewaltigung eine Bewährungsstrafe. Und für nachgewiesenen Mord und Totschlag auch. Und das ist falsch, falsch, falsch.

  • V
    viccy

    @ fidel

    Okay, dann weißt Du aus der Distanz der Zeitungslektüre besser, was da geschehen ist. Du weißt, dass eine Vergewaltigung stattfand und kein SM-Sex, während das Gericht - und die Staatsanwaltschaft dazu ! - am Ende der Verhandlung, trotz der Augenscheinnahme aller Zeugen und Angeklagter, trotz direkter Fragen und Nachfragen, sich absolut unsicher war. Da stellt sich die Frage, für was wir noch Gerichte brauchen, wenn man Fälle auch nach Gutdünken und Bauchgefühl frei Schnauze entscheiden kann.

  • F
    fidel
  • GA
    Glaube an die Menschheit

    Ein Glück, dass es solche Juristen gibt wie diesen Proberichter mit gesundem Menschenverstand!

  • S
    sigibold

    Die ganze Sache ist doch lächerlich. Im Mittelalter war es allgemein üblich den Delinquenten, bevor man ihn folterte, in den Folterkeller zu geleiten und ihm die Werkzeuge zu erklären. Danach konnte er noch einmal in sich gehen und seine Aussage überdenken um sie ggf. zu korrigieren bevor es zur Sache ging. Wenn so ein Weichei, das sich in aller Öffentlichkeit produzieren muss, von einer derartigen Maßnahme so einschüchtern lässt, dass er die Wahrheit sagt um so besser. Vielleicht sollte man grundsätzlich Delinquenten und Meineider(Zeugen) vor Ihrer Befragung einen Blick in den Justizvollzug werfen lassen. Ich könnte mir denken, dass die Falschaussagenquote drastisch sinken würde.

    Nun gut, der junge Richter ist über das Ziel hinausgeschossen. Ihn deswegen nicht anzustellen halte ich für total überzogen. Ein paaar Tagessätze hätten da vielleicht gereicht.

  • R
    Rizo

    @ Bluescreen:

    Wer sich keinen Anwalt leisten kann, bekommt einen gestellt. So "schlimm" ist unser Rechtssystem...

  • V
    viccy

    @ fidel

    Bitte stellen Sie doch mal einen Link online, aus dem hervorgeht, dass ein Mörder, Totschläger oder Vergewaltiger mit einer Bewährungsstrafe davongekommen ist. Sollten Sie einen solchen Link nicht finden, könnten Sie sich in Zukunft ja Ihrem neuen Wissensstand entsprechend äußern.

     

    @ netzdackel

    Meinen Sie, man verliert die Fähigkeit sich selbst zu ängstigen, nur weil man exhibitionistisch veranlagt ist? Oder welche tiefere Sinn steckte hinter Ihrem Anwurf?

  • V
    viccy

    @ Bluescreen

    Könnten Sie mal definieren, was Sie unter Rechtsbeugung verstehen?

  • H
    Horsti

    Warum ist Exhibitionismus nach höchstrichterlicher "Rechtssprechung" eigentlich nur bei Männern strafbar? Geht eine Frau nackt in den McDonalds macht sie sich nicht strafbar, macht es ein Mann, wird er eingesperrt. Wie sexistisch ist das eigentlich?

  • MG
    Martin G

    Ich finde das Urteil des BGH richtig, denn wir leben in einen Rechtsstaat und ich mag es garbicbt, wenn ein Amtsrichter sich dermaßen daneben verhält, zumal ich mich sehr wundere, dass es wegen eine solchen Lappalie wie Exhibitionismus überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung gekommen ist.

  • MG
    Martin G

    Ich finde das Urteil des BGH richtig, denn wir leben in einen Rechtsstaat und ich mag es garbicbt, wenn ein Amtsrichter sich dermaßen daneben verhält, zumal ich mich sehr wundere, dass es wegen eine solchen Lappalie wie Exhibitionismus überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung gekommen ist.

  • V
    viccy

    Schon irgendwie tragisch. Der junge Mann hat wenigstens 6 Jahre in das Studium investiert samt Schweiß und Tränen, vielleicht noch eine Promotion oben drauf gesetzt und den "Freischuss" nicht versäumt - summa summarum kommen da leicht 8, 9 Jahre zusammen. Und nun ist die Richterlaufbahn wegen 3 Minuten aus der Reihe tanzen zu Ende. Kann einem leid tun.

     

    Nota bene: Das Einsperren zwecks Schockwirkung hat die Koalition jüngst für Jugendstrafe zur Bewährung beschlossen. Aber nicht nur für 20 Sekunden, da gehts eher um Tage oder Wochen des Einsperrens.

     

    Für eine berufliche Zukunft bspw. als engagierter Anwalt wünsche ich dem ehemaligen Proberichter alles Gute!

  • F
    fidel

    das kann doch nur satire sein, war mein erster gedanke. der zweite sagte mir dann, sie schicken vergewaltiger, totschläger und mörder mit bewährung nach hause. also müssen sie einen jungspund der noch recht sprechen will, das verständlich ist, vernichten. so passt es dann wieder.

  • N
    netzdackel

    lachhaft, wo war der angeklagte verängstigt? als er was

    aus der hose hängen ließ gings doch auch.

  • B
    Bluescreen

    Leider ist dies kein Einzelfall und es sind nicht nur Proberichter die Rechtsbeugung mit diversen Mitteln betreiben. Ganz schlimm wird es dann, wenn Strafanzeigen gegen solche Richter von der Staatsanwaltschaft gar nicht erst angenommen werden. Mit Bürgern die sich keinen Anwalt leisten können, kann man das ja machen. Wenn interessiert dies schon!