Urlaub in der Schweiz: Wo Golfer sich einlochen lassen
Im schweizerischen Chur kann man beim Citygolf einheimische Köstlichkeiten kennenlernen. Manche Touris schlafen danach hinter Gittern.
Wir sehen nicht wie Ausbrecher aus, eher wie stinknormale Touristen, die Chur erkunden wollen. Bloß mit Golfschlägern. Denn in der Hauptstadt des Schweizer Kantons Graubünden kann man sich durch die Innenstadt golfen. Die neun Bahnen liegen nicht an den Hotspots, sondern in ruhigeren Winkeln und Gassen, in denen man aber viel entdecken kann.
Wo das rote Kreuz auf den Asphalt gesprayt ist, legen wir den Ball ab und schlagen ihn Richtung Ziel. Mal ist das ein Hydrant, mal ein Brunnen, mal ein Stück Mauer. Auch wer zum ersten Mal einen Golfschläger in der Hand hält, kommt ohne große Mühe zurecht und der neongelbe Ball ist so weich, dass er keine Dellen in Autotüren und keine blauen Flecken auf menschlicher Haut hinterlassen könnte.
Die Idee ist simpel, das Spiel einfach, der Spaßfaktor hoch. Was aber wirklich zählt, steht nicht auf dem Scoreboard, auf dem man die Schläge notiert. Es spielt keine Rolle, ob der Citygolfer mal über den Ball haut oder das Ding in einem Container versenkt. Eigentlich muss man auf diese Missgeschicke hoffen, denn sie bringen einen ins Gespräch mit den Einheimischen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Citygolf kann auch Abenteuer sein
Auf dem Hegisplatz befindet sich der Abschlag direkt an einer Eingangstür. Als wir ausholen zum ersten Schlag tönt es aus der Freisprechanlage: „Sie müssen nur den Brunnen treffen, viel Spaß.“ Am Fenster im ersten Stock taucht ein Mann auf und reckt den Daumen nach oben. Die Motivation hilft, nach drei Schlägen ist der Ball am Ziel.
Nächste Bahn, kleine Seitengasse, kräftiger Abschlag. Der Ball roll und rollt. Genau vor die Füße von Marco Leibundgut. Er ist auf dem Weg zur Arbeit im Sennhof, einem langgezogenen Gebäude mit weißer Fassade, Stacheldraht und hohen Mauern. Seit 2020 ist das ehemalige Zuchthaus ein Hostel und Leibundgut der Gastgeber.
„Die Grundinfrastruktur war da. Hier haben ja schon Menschen gelebt“, sagt Leibundgut. Die Türen und Zellen sind geblieben, alles andere ist neu. Betten vom Schreiner, neue Bäder, frische Farbe. Nach der Führung lässt er uns zur Hintertür raus in den Gefängnishof. Dass das Tor draußen verschlossen ist, hat er nicht gewusst. Nun ist das Rätsel gelöst, warum wir über den Zaun klettern mussten. Citygolf kann auch Abenteuer sein.
Offiziell heißt es Urbangolf und ist seit zwei Jahren in Chur möglich. Man leiht Schläger und Ball gegen eine Gebühr von 15 Euro pro Erwachsener bei der Tourist-Info am Bahnhof und zieht los. Die erste Schweizer Stadt, die Urbangolf angeboten hat, war Winterthur.
Das Café ist gleichzeitig ein Schmuckatelier
Heute kann man es zum Beispiel auch in Biel oder Sursee spielen, doch niemand treibt das Thema so stark voran wie die Churer. Trotz Pandemie haben im vergangenen Jahr 2.872 Menschen die kleine Kugel über das Kopfsteinpflaster gejagt. Auf dem Churer Hausberg Brambrüesch, wohin im Sommer gemütlich die Gondel fährt, gibt es auch eine Crossgolf-Variante.
Wer sich durch Chur golft, bemerkt alsbald die vielen Bars, Cafés und Restaurants. Auf die 40.000 Einwohner kommen laut Stadtpolizei fast 300 gemeldete Gastwirtschaften. Für uns wird es Zeit, in eine davon einzukehren.
Der Stadtplan lotst uns durch schmale Gassen, bis hinter der Musikschule kleine Tische auftauchen, die zum Schmuckcafé gehören, einem schnuckeligen Lokal direkt an der Golfbahn. Ein Saxophon tönt das Lied vom „Drunken Sailor“, als wir noch schnell einen Ball ins Nirgendwo jagen und schlussendlich eine peinliche Zahl im Scoreboard eintragen müssen.
Wir nehmen Platz, nebenan weist uns jemand auf den hervorragenden Kaffee hin. Eine Blitzumfrage am Lokal ergibt: Es sitzen nur Churer hier – und alle kommen wegen Cappuccino und Co. Eine Frau zeigt stolz einen Ring. Sie hat ihn hier im Café, das zugleich ein Schmuckatelier ist, anfertigen lassen.
Vom Tellerwäscher zum Restaurantbesitzer
Der Goldschmied ist wie jeden Sommer zum Segeln in Mexiko. Salina Wierzchula hat für ihn übernommen. Sie ist Österreicherin, wohnt aber schon einige Jahre in Chur. „Das Klima, die Menschen, es ist einfach schön hier.“
Mittlerweile haben wir rund die Hälfte der Bahnen absolviert. Keiner der Passanten beschwert sich, obwohl sie manchmal warten müssen, bis wir den kleinen Ball versenkt haben. Viele wollen wissen, warum wir das tun und wo wir herkommen. Ob wir noch einen Tipp für feines Gebäck oder ein leckeres Abendessen bräuchten? Danke, wir sammeln fleißig Adressen.
Ein kleiner Junge mit großem Handtuch spricht uns an, was wir hier treiben. Der Vater, der ihn ins Schwimmbad bringen will, kommt ums Eck. Auch er ist neugierig, lädt uns auf eine Stange Bier ein – im eigenen Biergarten.
Schon bald geht es nicht mehr darum, was wir hier in Chur machen, sondern um ihn: Salmon Sellathurai kam 1985 aus Sri Lanka. Sein Lebensweg in den ersten Jahren war eine große Schweizreise. Luzern, St. Moritz und so weiter. Er fing als Tellerwäscher an, seit 23 Jahren betreibt er das Restaurant Marsöl, serviert mediterrane und indische Spezialitäten. „Du gehst Golf spielen, ich ins Schwimmbad“, sagt er zum Abschied.
Geheimnisvolle Pfirsichsteine
Unser Zeitplan ist aus den Fugen geraten. In zweieinhalb Stunden sollte man mit dem Citygolf eigentlich durch sein, wir brauchen fast doppelt so lange. Am Ende falten wir den Zettel auseinander, auf dem die Geheimtipps der Churer stehen.
Einer davon: Bühler’s Zuckerbäckerei, ein geschäftiger Treffpunkt, an dem trotzdem keine Hektik aufkommt. Das ehrwürdige Haus, in dem sich schon Anfang des 19. Jahrhunderts eine Pfisterei befand, ist schmal. Die Kunden stehen entlang der verglasten Vitrine, die Verkäuferinnen stapeln Pralinen in kleinen Schachteln.
Arthur Bühler, der die Zuckerbäckerei vor 28 Jahren übernommen hat, hütet in der Backstube über dem Laden ein Geheimnis: die Zutaten für die Bündner Pfirsichsteine, eine Spezialität aus Marzipan. „Das Rezept kennen nur meine Tochter und ich.“ Klein, weich und rund liegen sie in der Hand, fast wie der Citygolfball. Nur, dass wir sie dieses Mal mit einem Versuch versenken.
Transparenzhinweis: Die Reise wurde unterstützt von Chur Tourismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül