Urlaub in den Karpaten: Fluch und Segen
Ein Roman über die Göttinnen der Weißen Karpaten hat die Bewohner verstört. Touristen waren begeistert. Sie kamen in Scharen.
Im Sommer sind die Weißen Karpaten dunkelgrün und hellblau. Waldflecken überziehen die Hänge, am Horizont ahnt man Berge im Dunst. Weit verstreut zwischen Wiesen und in Senken versteckt liegen einzelne kleine Gehöfte. Die Gegend wirkt etwas aus der Zeit gefallen. Die schwer erreichbaren Hügel wurden erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von landlosen Bauern und Kriegsflüchtlingen besiedelt.
Die Bewohner von Kopaniče, das aus fünf Dörfern besteht, leisteten noch bis 1896 Frondienst bei den Herren von Schloss Bojkovice. Auf den Wiesen in 500, 600 Meter Höhe wachsen Odermennig und Echtes Labkraut, Hauhechel, Johanniskraut und Schafgarbe wild durcheinander – eine Apotheke der Natur, für Menschen, die sich daraus zu bedienen wissen.
In den unzugänglichen Tälern waren dies die „Göttinnen“, weise Frauen, die man aufsuchte, wenn die Kuh lahmte, Opa kränkelte oder die Angehimmelte ihren Verehrer links liegen ließ. Sie kannten sich aus mit Suden und Salben, ihnen schrieb man Zauberkräfte zu, die sie im Guten wie im Bösen einsetzen konnten. Man hatte Angst vor den Magierinnen, man beneidete sie, weil sie oft zu Wohlstand kamen, und man sprach schlecht über sie.
Im Jahr 2012 erschütterte ein Ereignis wie ein Donnerschlag die ganze Region: Im fernen Brünn veröffentlichte die Schriftstellerin Kateřina Tučková ein Buch. „Das Vermächtnis der Göttinnen“ verfolgt in Romanform die Spuren der Frauen zurück in vergangene Jahrhunderte. Auch die deutschen Besatzer, vor allem Heinrich Himmler, sollen höchst interessiert an den Ritualen gewesen sein, die sie für alte indogermanische hielten.
Das Buch bewirkte zweierlei: Die Bewohnerinnen und Bewohner der Weißen Karpaten waren empört. Denn die Autorin plauderte aus, worüber nie jemand sprach: Dass hier viel und übler Schnaps gesoffen wurde, dass fast keiner der „kleinwüchsigen, knorrigen Menschen“ lesen und schreiben konnte, dass Männer ihre Frauen bis aufs Blut quälten und Verwandte miteinander ins Bett gingen. Und es überschwemmte plötzlich ein Strom von Touristen die Gegend.
Das Haus einer Göttin
Der Musiker Petr Mizera und seine Frau Marie hatten schon zuvor ein verfallenes Gehöft gekauft, in dem bis zu ihrem Tod 2001 die Göttin Irma Gabrhelová gewohnt hatte. Angeblich war sie die Letzte ihres Standes, wenngleich man immer noch munkelt, unten in Hrozenkov gebe es eine, die …
Die Eheleute restaurierten das Gebäude, und plötzlich hatten sie eine Sehenswürdigkeit. Herr Mizera, Rentner mit ergrauenden Locken, versammelt Besucher im gepflasterten Hof. Auf den Bänken haben früher die Hilfesuchenden gewartet, bis sie hineingerufen wurden. Er warnt zunächst vor den Energieströmen, die hier viermal so stark seien wie im nahen Žitkova. Sensible Naturen spürten häufig ein Kribbeln im Leib, besonders empfindsame Wesen könnten auch schon mal in Ohnmacht fallen.
Das Häuschen von Irma Gabrhelová war kein Armenhaus, sie selbst besaß zwei Kühe und ein Pferd und galt damit als wohlhabend. Das kleine, niedrige Schlafzimmer ist vollgestellt mit einem Eichenbett, einer Blumenbank, einer Nähmaschine und einem Schrank. Am Tisch in der Küche reicht Herr Mizera DIN-A4-Blätter herum. Sie handeln von Josef Hofer, einem Pfarrer, der schon 1910 gegen die Göttinnen von der Kanzel wetterte, von anderen Schriftstellern, die sich früher mit dem Phänomen beschäftigt hatten, und von Herrn Mizera selbst: Herr Mizera mit Frau Tučková, Herr Mizera und Herr Jilik, Herr Mizera mit prominentem Besuch. Herr Mizera hat einen Mythos geerbt und strickt kräftig daran mit.
Auch andere Bewohner von Kopaniče versuchten, den über Nacht hereingebrochenen Touristenfluch in einen Segen für sich zu verwandeln. Gleich gegenüber, auf der anderen Seite des Weges, bietet eine Schaffarm Käse und Schafsmolke. Die Gemeinde Žitkova hat sich ein nagelneues Info-Zentrum geleistet. Und auch Lydia und Lubomír Miškařik haben am Dorfhügel ein paar Tische aufgestellt und verkaufen frisches Brot, geräucherten Käse und selbst gebrannten Schnaps.
Der Besucherstrom sei inzwischen etwas abgeebbt, sagen sie. Derzeit aber ist eine Verfilmung des Stoffes in Vorbereitung. Ein Film könnte noch einmal Menschen in die Täler und auf die Höhen spülen – zur Freude der einen, zum Entsetzen der anderen, hier im einst so weltvergessenen Grenzland.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!