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Archiv-Artikel

Unvornehmer Stern am Reiterhimmel

Junge Frauen mit Pferdeschwanz bevölkern das Messegelände beim Weltcup der Dressurreiter

Viele Sportfans hierzulande lieben die Dressurreiter nur deshalb, weil sie als Medaillenjäger bei Olympischen Spielen regelmäßig dafür sorgen, dass Deutschland zwei Goldmedaillen in der Nationenwertung gutgeschrieben bekommt. Doch es gibt eine nicht geringe Zahl wahrer Fans. Es sind vor allem Mädchen und junge Frauen, die selbst reiten. Dass es davon jede Menge gibt, davon konnte man sich am Wochenende auf dem Berliner Messegelände überzeugen. Das erste Weltcupturnier der Dressurreiter in dieser Saison stand auf dem Programm und nebenbei konnte man sich auf der Pferdemesse Hippologica nach Neuigkeiten aus dem Bereich des Reitsports umsehen.

Schon früh am Sonntagmorgen füllte sich die Halle, denn die ersten Dressurreiterinnen steigen bereits um neun Uhr in den Sattel. Anständige Mädchen, meist mit braven Pferdeschwanzfrisuren saßen auf den Tribünen. Eine Jugend, so höflich, hübsch und hausbacken, wie sie sich viele konservative Kulturskeptiker sicher wünschen würden. Eine Jugend wie aus einer anderen Zeit.

Wie eine Veranstaltung aus längst vergangenen Tagen wirkt auch das Dressurreiten selbst, das immer noch immer noch so farblos daherkommt, als gäbe es noch kein Farbfernsehen. Die mehrfache Olympiasiegerin Isabell Werth, die in Berlin mit ihrem Pferd Appache an den Start gegangen war, machte sich im Vorfeld des Weltcups Sorgen über den Dressurnachwuchs in Deutschland und spielte darauf an, dass sie mit ihren 34 Jahren mittlerweile beinahe das Küken in der deutschen Mannschaft ist. Doch auch blutjunge Reiterinnen würden in Zylinder und Frack einfach alt aussehen.

Dass sich so viele junge Zuschauerinnen für den Pferdesport begeistern, liegt durchaus nicht an den Reitern, sondern an den Pferden. „Die sieht aber süß aus“, sagt eine junge Frau zu ihrer Sitznachbarin und meint damit die Hannoveraner Stute Wansuela Suerte, mit der Hubertus Schmidt den Kürwettbewerb des Weltcups gewonnen hat. Sie sind geschult die jungen Frauen. Auf der Hippologica stellen Verlage und Fachbuchhandlungen sicher nur einen Bruchteil der Literatur zum Thema Pferd aus. Doch schon dieser kleine Ausschnitt, der hier geboten wird, ist beachtlich. Vom gezeichneten Bilderbuch in Kinderhosentaschenformat, über Ratgeberliteratur zum Thema Tierpflege bis hin zur hippologischen Belletristik für Erwachsene bietet der Büchermarkt für alle Interessenlagen und Altersstufen ein Produkt. Das Teenie-Magazin Bravo hat mit Wendy seine Entsprechung für die Welt der Rosse und Reiter. Für Kinder und Jugendliche, die sich interaktiv durch die Reiterei klicken wollen, gibt es das Computerspiel „Nikki – das erste Abenteuer“.

Jungs sind nur wenige zu sehen unter dem Funkturm. Reiten scheint Mädchensache zu sein. Psychologen glauben zu wissen, warum es vor allem weibliche Jugendliche sind, die der Liebe zum Reiten verfallen. Das Pferd sei ein archetypisches Muttersymbol, das viel Wärme ausstrahle, erklärte Christiane Schaper unlängst. Mädchen benötigten diese Wärme auch noch in der Pubertät, während Jungs eher nach der väterlichen Härte strebten.

Schade nur, dass sich nicht jedes Mädchen den Wunsch nach einer Jugend mit Pferd verwirklichen kann. Die meisten der zahlreichen Ställe in Berlin bieten lediglich Boxen für Privatpferde an und stellen keine eigenen Pferde für jedermädchen zur Verfügung. Wenn die Eltern sich also kein Pferd leisten wollen oder können, ist die Tochter auf ein Pflegepferd angewiesen. Und wer auch ein solches nicht findet, muss seine Pferdeleidenschaft mit Hochglanzkalendern und Beziehungsromanen zum Thema Liebe zwischen Pferd und Mädchen befriedigen.

So bleibt der Pferdesport doch eine recht vornehme Angelegenheit. Da kann die Britin Emma Hindle, die mit ihren dritten Platz beim Weltcup und ihrem Sieg am Vortag beim Dressur-Grand-Prix als neuer Stern am Reiterhimmel gilt, noch so frech daherreden. Die hat nach dem Umritt gesagt, dass sie mit ihrem Pferd sehr zufrieden sei, sie selbst habe Fehler gemacht und einen „Tritt in den Arsch“ verdient. Wie unvornehm, Frau Hindle. ANDREAS RÜTTENAUER