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RIESTER DIFFAMIERT DIE ARBEITSLOSEN ALS FAUL UND DESINTERESSIERTUnverzeihlicher Populismus

Nichts ist in der Politik so unverzeihlich wie eine leichtfertige Wortwahl, die ganze Gruppen ausgrenzt. Denn diese Schmähtitel prägen die öffentliche Wahrnehmung für immer. „Scheinasylant“ war so ein Wort, „Sozialschmarotzer“ ist ein anderes. Jetzt hat Riester die Arbeitslosen diffamiert. Bild brachte die Botschaft hart auf den Punkt: „Riester will faulen Arbeitslosen Stütze streichen“.

So deutlich hat es das Arbeitsministerium natürlich nicht gesagt. Man formulierte subtiler: Man sprach lieber von „Kontrolle“, von „Verstößen“, die jetzt mit Leistungskürzungen „geahndet“ würden. Man forderte ein „neues Verhältnis zwischen Sozialpflichten und Sozialrechten“ und „Sperrzeiten“ beim Arbeitslosengeld. Doch bei aller scheinbaren Harmlosigkeit: Unterschwellig wird mitgeteilt, dass die Arbeitslosen selbst schuld seien an ihrer Arbeitslosigkeit – weil sie sich angeblich faul und findig weigern, sich weiterzuqualifizieren. Keine Unterstellung könnte absurder sein: Von 1,3 Millionen Langzeitarbeitslosen haben sich im letzten Jahr ganze 75.000 nicht für eine Weiterbildung interessiert. Alle anderen paukten. Doch strampelten sie oft umsonst; die meisten sind immer noch ohne Job. Dies kann nicht erstaunen, liegt doch die offizielle Arbeitslosenzahl bei 4,11 Millionen.

Es ist so schlicht: Es gibt Erwerbslose, weil die Produktivität zunimmt. Doch warum wird diese simple Wahrheit nicht anerkannt? Warum werden ausgerechnet die Arbeitslosen gedemütigt, die sowieso schon die hilflosen Opfer des Wirtschaftswandels sind? Bei Schröder und Riester fällt die Analyse leicht: Sie versprachen einst, die Arbeitslosenzahlen signifikant zu senken – wider besseres Wissen. Jetzt wird auch öffentlich entdeckt, dass die Beschäftigung nicht großartig zunimmt. Und statt das eigene Scheitern einzugestehen, wird lieber nach angeblichen Schuldigen gesucht, die möglichst ohne Lobby und also wehrlos sind.

Aber warum haben Arbeitslose keine Sympathisanten? Warum glaubt die Öffentlichkeit so gern, sie seien faul? Schließlich erleben immer mehr Beschäftigte, dass die globalisierte Flexibilität ihren Job bedroht. Also müssten sie sich doch einfühlen – schon im Eigeninteresse. Es könnte ja auch sie erwischen. Es ist paradox: Gerade weil die Arbeitslosigkeit so wahrscheinlich ist, darf sie nicht wie ein übermächtiges, unerträgliches Schicksal wirken. Also wird an der Fiktion festgehalten, der eigene Job sei durch Fleiß zu retten. Im Umkehrschluss folgt zwingend, dass Arbeitslose faul sein müssen. Hilfloser Selbstbetrug der Beschäftigten – aber leider nicht folgenlos. Denn diese populäre Lüge eignet sich bestens im Wahlkampf. Und so werden wir noch häufig hören, dass die Arbeitslosen selbst schuld seien. Von allen Parteien. ULRIKE HERRMANN

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