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Archiv-Artikel

Unverkäuflicher Wein

Am Hamburger Stintfang liegt Deutschlands zweitnördlichster Weinberg. Die Cuvée wird auf einer Mini-Lage geerntet und von der Bürgerschaft exklusiv verschenkt. Das Problem: die geringe Menge

VON GERNOT KNÖDLER

Die „Stintfang Cuvée“ hat kaum einer probiert. Das liegt nicht daran, dass der Wein aus Hamburg so schlecht wäre. Aber so rar, dass er nur zu besonderen Anlässen und an ausgewählte Persönlichkeiten verschenkt wird, die ihn dann meist als Erinnerung aufbewahren. „Es sind vielleicht mal zehn Flaschen in den vergangenen zehn Jahren geöffnet worden“, vermutet Christel Currle, die Inhaberin des gleichnamigen Weingutes in Stuttgart-Uhlbach, das den Wein ausbaut.

Dass Hamburg Deutschlands zweitnördlichsten Weinberg sein Eigen nennen kann, liegt an der Stuttgarter Fremdenverkehrswerbung. Die veranstaltet seit 1983 auf dem Hamburger Rathausmarkt ihr Weindorf – im Gegenzug gibt es in Stuttgart einen „Hamburger Fischmarkt“. Zum zehnjährigen Jubiläum des Weindorfs stiftete der Pro-Stuttgart-Verkehrsverein 50 Rebstöcke der Sorten Regent und Phönix, die am Stintfang unterhalb der Jugendherberge gepflanzt wurden. Zum Zwanzigjährigen kamen noch einmal 25 Stöcke Regent hinzu.

Der Südhang der ehemaligen Bastion sei nicht ausgewählt worden, weil der Boden dort besonders gut sei, sagt Currle. „Man hat sich eher Gedanken gemacht, wo das überhaupt gehen würde.“ Mit dem Sonnenschein ist die Winzerin auch ganz zufrieden. Das Problem sei, dass es morgens zu lange dunstig sei, weshalb der Tau nicht abtrocknen könne und die Trauben für den Botritis-Pilz anfällig würden.

Wie die Winzerin erläutert, macht der Pilz die Haut der Trauben durchlässig. Das Wasser aus den Trauben verdunstet, wodurch ihre Inhaltsstoffe konzentriert werden. Das wäre an sich nicht schlecht und ist bei Trockenbeerenauslesen sogar erwünscht. Die Ernte auf dem 500-Quadratmeter-Weinberglein am Stintfang lieferte dann allerdings nur zwei Flaschen Wein.

Die geringe Traubenmenge – 100 bis 120 Kilogramm – sei das größte Problem beim Ausbau des Hamburger Weins. Der Vinifizierungsprozess beginnt mit 90 Litern Traubensaft. Jeder Liter, der mit dem Bodensatz der Hefe im Müll landet, der in einem Filter hängen bleibt oder sich nicht aus einer Schlauchleitung blasen lässt, wird schmerzlich vermisst.

An der Weinlese im September/Oktober teilzunehmen, sei ein Privileg, sagt Currle. Natürlich reisen als Fachleute die Winzer aus Stuttgart an. Die Trauben werden in flache, stapelbare Fleischerwannen gelegt und möglichst schnell auf das Weingut Currle verfrachtet.

„Wenn die Trauben geerntet werden, sollten sie am gleichen Tag noch bei uns sein“, sagt die Winzerin. Damit soll verhindert werden, dass unerwünschte Bakterien und Hefen die Gärung einleiten. Currle setzt in ihrem Keller spezialisierte Reinzuchthefen zu, um einen kalkulierbaren Prozess zu gewährleisten.

Wegen seiner winzigen Anbaufläche ist die Stintfang-Cuvée bei Sammlern begehrt. „Mir wurden mal 250 Euro geboten, wenn ich eine Flasche Stintfang verkaufen würde“, sagt Currle. Doch kaufen lässt sich der Wein nicht. Zur Eröffnung jedes Stuttgarter Weindorfs wird der neue Jahrgang dem amtierenden Präsidenten der Hamburgischen Bürgerschaft überreicht, der ihn dann an Staatsgäste, Jubilare und Ehrenbürger verschenkt. „Ein scheidender Bischof hat mal eine Flasche bekommen“, erinnert sich Ulfert Kaphengst, der Sprecher der Hamburgischen Bürgerschaft.

Kaphengst gehört zu den Wenigen, die den „Stintfang“ schon einmal probieren durften. „Er ist durchaus genießbar“, findet er. Kennern zufolge sei der Wein „säurebetont mit ausgeprägten Aromen“. Bei einer Blindverkostung würde sie den Wein vielleicht erkennen, weil im Vergleich mit ihren Württembergern die Säure stärker dominiere, sagt Currle. Obwohl der Stintfang eher gesammelt als getrunken wird, baut ihn Currle genauso sorgfältig aus wie ihre übrigen Weine. Er wird nicht gezuckert. Das Terroir – der kleine Weinberg auf dem er angebaut wird – soll zu schmecken sein.

Am Stintfang ist wie auf den Steillagen Württembergs Handarbeit angezeigt. Mauern und Geländer verhindern den Einsatz von Maschinen. Nicht verhindert haben sie, dass einmal ein Jahrgang ausfiel: Unbekannte hatten sich über den Weinberg hergemacht und die Ernte geklaut.