Unterwegs auf der Leipziger Buchmesse: Eine Welt voller brunftiger Brüllaffen
Eine Autorin hasst Fußball. Die Sprache Balbuta reüssiert in Leipzig. Ein ukrainischer Journalist will über Isoljazija aufklären. Ein Messerundgang.

Am Abend wird es dann doch noch lustig. Im Leipziger Werk 2 sitzt Barbi Marković auf der Bühne und rechnet mit einem besonders bei Männern beliebten Rasensport ab. „Dies ist ein Buch gegen Fußball“, sagt sie und stellt im Rahmen eines Verlagsabend von Voland & Quist ihr kürzlich erschienenes „Piksi-Buch“ vor.
Marković, 45, ist in Belgrad aufgewachsen, lebt heute in Wien, und beschreibt im „Piksi-Buch“ die postjugoslawische und Belgrader Fußballwelt aus autobiografischer Perspektive: Ihr Vater hat sie als Kind ständig mit ins Stadion genommen, obwohl sie nichts mit dem Sport anfangen konnte.
Die Auszüge liest Marković in charmantem Wienerisch mit leichtem serbischen Akzent. Jeden ihrer Geburtstage habe sie im Stadion verbracht; als sie acht Jahre wird, hänge sie mal wieder auf der Tribüne und schaue „dem Rasengeschehen nicht zu. Ein Mann hat gerade schlimme Sachen über die Mutter des Schiedsrichters geschrien. Ich mache mir Sorgen um den Schiedsrichter und seine Familie.“ Marković ist die Meisterin der lakonischen Hauptsätze, das hat sie auch schon in „Mini-Horror“ gezeigt, für das sie 2024 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt.
Es geht dann im Gespräch mit Moderator Cornelius Pollmer und dem kroatischen Schriftsteller Edo Popović (der sein Buch „Der Pudel des Staatsführers“ vorstellt) auch um das Politische im Fußball während der Umbruchszeit in Jugoslawien. Sie sprechen über die Gewalt und die Krawalle im Zuge des geplanten Spiels Dinamo Zagreb gegen Roter Stern Belgrad im Jahr 1990, das dann abgesagt wurde. Und über das (verlorene) WM-Spiel Jugoslawiens gegen Argentinien im selben Jahr. Beides vorgezogene Schlussakte des geeinten Jugoslawiens.
Die beiden Autor:innen blicken dann auch noch aufs heutige Serbien und Kroatien. Während Marković die klugen und engagierten Student:innen lobt, die gerade in Belgrad auf die Straßen gehen und aufbegehren, beklagt Popović, dass es im trägen Kroatien einfach immer so weitergehe, von Korruptionsskandal zu Korruptionsskandal. In Kroatien gehe es zu wie in einer „Schafsherde“, sagt er. „Es stinkt ein bisschen, aber es ist auch warm, und man kann sich leicht zurechtfinden.“
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Der belarussiche Schriftsteller Alhierd Bacharevič ist sehr präsent bei dieser Messe, er hat ja auch den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhalten. Und eine neue Sprache in den Diskurs gebracht: Balbuta. Die erfundene Sprache stammt aus seinem Werk „Europas Hunde“, Teile des Romans sind in Balbuta geschrieben. Bei einer Veranstaltung am frühen Abend im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig sagt er: „Ihr müsst euch vor allem zwei Balbuta-Worte merken: 'Bu samoje!“'. Das sagt man in Balbuta zur Begrüßung und zur Verabschiedung. Es heißt so viel wie: ‚Sei frei!‘‘.“
Exiilautor Bacharevič weiß, dass jene seiner Landsleute, die in Belarus geblieben sind, von Freiheit nur träumen können. Dort dürfen sie seine Bücher nicht einmal lesen, sich zumindest nicht dabei erwischen lassen. „Europas Hunde“ und ein weiteres Bacharevič-Werk sind im Lukaschenka-Reich verboten. „Ich bin von meiner Leserschaft in Belarus abgeschnitten, das macht mich traurig“, sagt er. An die Leserschaft in seinem Heimatland versende er gelegentlich Pdfs.
Auch Thomas Weiler sitzt mit auf dem Podium. Weiler hat „Europas Hunde“ kongenial ins Deutsche übertragen, hier gibt er einen kleinen Einblick in die Übersetzerwerkstatt. Er erklärt, wie solche eindrücklichen Assonanzen und Alliterationen entstehen wie die Beschreibung frühpubertärer Jungs in dem Roman: „Breitohrige Basilisken, schüttere Bärtchen über dürftigen Lippen, brünstig-klebrige Hände, brüchige Fistelstimmen, Bombenkrieg im Oberstübchen: brunftige Brüllaffen.“ Einige Wörter aus dem Original seien gesetzt, drum herum assoziere man als Übersetzer frei, das sei die schönste Arbeit.
Weiler wurde am Donnersatg für ein anderes Buch — „Feuerdörfer. Wehrmachtsverbrechen in Belarus – Zeitzeugen berichten“ — mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet.
Es ist insgesamt eine Messe, in der Osteuropa – endlich, zum Glück, natürlich auch der Weltlage geschuldet – breite Aufmerksamkeit erfährt. Der osteuropäische Humor sei auch schon zuvor geschätzt worden, inzwischen aber verstünden die Besucher:innen so langsam, worum es gehe, meint Bacharevič: „Früher kamen die Menschen zu Veranstaltungen mit osteuropäischen Autoren um zu lachen. Heute kommen sie, um zu denken. Dafür bin ich dankbar.“
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Worum es den Osteuropäer:innen geht, das kann man bei einer Veranstaltung mit Stanislaw Assejew am Nachmittag auf traurige Art und Weise nachvollziehen. Assejew ist zum Stand der Ukraine gekommen, um mit Journalistin Sabine Adler über sein Buch „Heller Weg, Donezk“ zu sprechen.
Stanislaw Assejew ist in Donezk geboren und aufgewachsen, er arbeitete dort als Journalist und kam 2017 in russische Gefangenschaft. Über zwei Jahre verbrachte er im Gefängnis Isoljazija (Isolation). Folter mit Strom, Vergewaltigung und Prügel waren dort an der Tagesordnung, Assejew bezeichnet das Gefängnis als „Modell des heutigen Russland“; in der Tat symbolisert es Putins System des Überwachens und Strafens.
Assejew nutzt sehr bewusst den Begriff des „modernen Konzentrationslagers“ für Isoljazija. Er verstehe, sagt er nach der Veranstaltung, dass das in Deutschland zu irritierten Raktionen führe, aber Lager dieses Charakters hätte es nun mal – ob in der Sowjetunion, bis zuletzt in Syrien oder in Nordkorea – auch andernorts gegeben, sein Vergleich beziehe sich nicht auf Vernichtungslager. Er gehe davon aus, dass in Isoljazija heute noch genauso gefoltert werde wie seinerzeit, auch wenn die letzten verifizierten Informationen aus dem Gefängnis von 2021 stammten.
Als es zu Beginn des Panels um die Verhandlungen mit Russland geht, platzt es aus ihm heraus: „Es sind keine Kompromisse mit Russland möglich.“ Die derzeitigen Verhandlungen könnten nur vorübergehenden Charakter haben, es gehe Putin ausschließlich um Territoriumserweiterung.
Stanislaw Assejew hat inzwischen den Justice Initiative Fund gegründet, um Kriegsverbrechen und Folter durch Russland zu dokumentieren. Ein „Danach“, einen Tag nach dem Krieg, kann er sich aktuell nicht vorstellen. Dazu müsse man sich neben dem Ende Putins eine russische Zivilgesellschaft vorstellen, die Verantwortung übernehme – eine solche aber sehe er nirgends.
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