Untersuchung zur Entwicklung von Musik: Der Tanz-Algorithmus
Eine Musikfirma hat die Popmusik von den 50er-Jahren bis heute auf Emotionalität, Tanzbarkeit und Schnelligkeit untersucht. Geht das überhaupt?
Hinter der Musik von Elvis und Co. ist kein Druck und sie ist zu lahm, um darauf abzugehen, findet mancher Freund von satten Technobeats. Anhänger von Oldies kontern. Die Musik des 21. Jahrhunderts sei nur eine Aneinanderreihung von viel zu lauten Geräuschen. Wer nicht auf Drogen sei, könne dazu nicht tanzen.
Musikgeschmäcker werden immer verschieden sein. Eine Untersuchung der Musikfirma Echo Nest versucht nun, den Generationenstreit über den richtigen Sound zu schlichten.
Das Unternehmen versorgt Firmen wie Spotify, Nokia und Vevo mit digitaler Musik. Mit 35 Millionen Songs von 2,6 Millionen Künstlern besitzt sie einen reichen Schatz an melodischen ider weniger melodischen Daten. Ein Musikexperte der Firma, Glenn McDonald, hat 5.000 Hits der Jahre 1950 bis 2013 untersucht. Dazu klassifizierte er einige Songs als schnell, langsam, laut, leise, fröhlich, traurig, tanzbar, nicht tanzbar. Aus diesen Kategorien entwickelten Echo Nest einen Algorithmus, der auf die 5.000 Songs angewandt wurde.
Die Ergebnisse veröffentlicht Echo Nest in einem Blog. Die Quintessenz: Auch, wenn sich Musik immer entwickelte, bediente sie in einigen Dingen ähnliche Vorlieben bei den Hörern. Egal ob Rock'n'Roll, der Glamour-Pop der Achtziger, die Boygroup-Musik der Neunziger oder der Gangnam-Style des Jahres 2013: Zu Hits wurden immer Lieder, die dazu einladen, zu tanzen. Die tanzbarsten Songs laufen demnach nicht etwa heute, sondern waren der Sound des Jahres 1982. Im Jahr 1968 lief noch am wenigsten Tanzmusik, damals waren eher psychidelische Klänge in.
Objektivität ist fehl am Platz
Die Schnelligkeit der Songs ist den Blogs zufolge gleich geblieben. Auch in einer Zeit, in der Informationen rasend schnell verschickt werden, ist die Zahl der Beats pro Minute nicht höher als in Liedern aus der Zeit vor dem Internet. Auch hier rangieren die Achtziger vorne. 1982 war demnach das Jahr mit den schnellsten Songs. Bei der Fröhlichkeit oder Traurigkeit von Songs sieht es ähnlich aus.
Objektiv ist die Studie von Glenn McDonald nicht. Die Zahl von Beats mag sich genau messen lassen. Aber gilt das auch für Tanzbarkeit? Letztlich basieren die Algorithmen, mit denen diese Erkenntnisse errechnet wurden, auf den Einschätzungen eines Musikexperten. Ein anderer Musikexperte hätte vielleicht andere Songs tanzbarer, fröhlicher oder trauriger gefunden.
Vielleicht hat Objektivität im Bereich Musik auch einfach nichts verloren. Ob etwas tanzbar ist, ist letztlich immer die Frage des Geschmacks, oder aber der Stimmung, manchmal auch des Alkoholpegels. Wer gerade seinen Job verloren oder eine Trennung hinter sich hat, wird weder Elvis Presleys „That's Allright, Mama“, noch den „Gangnam-Style“ tanzbar finden – wer im Jackpot gewonnen hat, vielleicht beides.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier