Unternehmen und Einreiseerlaubnis: Privatsache Visavergabe
Deutschland verlagert die Ausgabe von Einreisegenehmigungen an Unternehmen. Die Risiken werden ignoriert.
Deswegen ist Jerdi Wui Rafael hier. Die 22-Jährige plant mit ihrem Freund einen Städtetrip nach Köln. Als Chinesin, die in Großbritannien lebt, braucht sie dafür ein Schengen-Visum. Und das gibt es eben in der Londoner Filiale der Firma VFS Global.
„Es ist ein bisschen dreckig und stickig, ohne anständige Belüftung, und auf dem Boden waren Kaffeeflecken. In der chinesischen Botschaft sieht es besser aus“, sagt die junge Frau. Zwei Stunden musste sie warten. Zwanzig Kunden waren vor ihr dran, obwohl sie einen Termin hatte. Aber immerhin: Als sie endlich dran war, ging alles ganz schnell. Und die Mitarbeiter, sagt Jerdi Wui Rafael, die waren freundlich.
Ein sensibles Geschäft
Für insgesamt 19 Staaten arbeitet das Personal im Londoner Visazentrum. Die Filiale ist Teil eines weltweiten Trends: Immer mehr Staaten gliedern Teile ihrer Konsularabteilungen an private Dienstleister aus. Sie setzen auf Outsourcing, um Kosten zu sparen und um mit der steigenden Zahl von Antragstellern fertig zu werden. Auch die Bundesrepublik ist dabei. Derzeit arbeitet das Auswärtige Amt daran, die Zusammenarbeit mit den Privaten deutlich auszuweiten.
Dabei mangelt es nicht an kritischen Stimmen. „Bei der Visavergabe geht es um die Gewährleistung eines verlässlichen staatlichen Handelns im Rahmen des geltenden Rechts“, sagt die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (Linkspartei). Abstriche zur Kosteneinsparung oder zur Profitmaximierung von Unternehmen dürfe es da nicht geben.
Die Probleme beim Outsourcing: Anders als die Botschaften unterliegen die Privatfirmen den Gesetzen des jeweiligen Gastlandes. Persönliche Daten der Antragsteller könnten also in die Hände von Sicherheitsbehörden fallen. Durch Sicherheitslücken verloren Visadienstleister schon einmal sensible Informationen an Computer-Hacker. Und dann besteht noch die Gefahr, dass Mitarbeiter der Unternehmen bei der Terminvergabe die Hand aufhalten. „Mit der Auslagerung entledigt sich der Staat komplett der Kontrolle über einen Bereich, der für Bestechungen zutiefst anfällig ist“, sagt der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour.
Omid Nouripour
Los ging die Privatisierung der Visavergabe schon unter FDP-Außenminister Guido Westerwelle. Während seiner Amtszeit strich sein Ministerium erst Stellen in den Konsularabteilungen und lagerte dann die ersten Visaverfahren aus – unter anderem in der Türkei, Russland und China. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ließ das Personal wieder aufstocken; aber weil gleichzeitig auch die Zahl der Visumanträge stieg, ging das Outsourcing weiter – unter anderem in Tunesien, Marokko und Ägypten. Im Februar 2017 hat das Außenministerium dann Konzessionen für über ein Dutzend weiterer Länder ausgeschrieben, darunter Iran und Israel. Insgesamt soll die Zahl der ausgelagerten Konsularabteilungen von 18 auf 32 steigen. Im Moment laufen die Verhandlungen mit den Bietern.
Wie funktionieren die Geschäfte? Und was bedeuten sie für die Antragsteller? Wer zum Beispiel in London ein Schengen-Visum für Deutschland braucht, vereinbart erst einen Termin auf der Internetseite der Firma VFS Global. Ist der Tag gekommen, überreichen die Kunden in der Wilson Street 66 ihre Unterlagen und Reisepässe an die Mitarbeiter der Firma, außerdem geben sie ihre Fingerabdrücke ab. Das Personal übermittelt die Daten an die Deutsche Botschaft am Hyde Park, die über die Anträge entscheidet. Am Ende holen die Kunden ihre Pässe wieder im privaten Visazentrum im Bankenviertel ab.
Die zusätzlichen Kosten zahlt der Antragsteller
Die Bundesregierung überweist für die Prozedur kein Geld an den Dienstleister. Die Firma bekommt ihr Geld von den Antragstellern: Zusätzlich zu den regulären Visagebühren in Höhe von 60 Euro, die an die Botschaft gehen, müssen sie dem Unternehmen eine sogenannte Servicegebühr in Höhe von 21 Euro zahlen. Oder sie geben 65 Euro für das Premiumangebot aus. Dann wird das Visaverfahren zum All-inclusive-Erlebnis mit einem VIP-Schalter, kühlen Getränken und einem persönlichen Assistenten, der beim Ausfüllen des Formulars hilft.
Für spezialisierte Dienstleister ist das Outsourcing ein lukratives Geschäft. Sie heißen TLS Contact, iData oder eben VFS Global. Auf den Marktführer vertraut das Auswärtige Amt nicht nur in Großbritannien, sondern auch in neun anderen Ländern. Insgesamt betreibt das Unternehmen nach eigenen Angaben 2.377 Visazentren in 129 Ländern.
Genau genommen handelt es sich bei VFS Global nicht um ein einzelnes Unternehmen, sondern um ein Firmengeflecht mit Ablegern und Holdings in Steuerparadiesen wie Mauritius und den Cayman Islands. Eigentümer ist der Schweizer Reisekonzern Kuoni, der im Jahr 2016 allein mit VFS Global einen Bruttogewinn in Höhe von 255 Millionen Franken erzielte. Laut Geschäftsbericht ist die Sparte innerhalb des Konzerns die „wachstumsstärkste, innovativste und profitabelste“. Laut einem Rechenschaftsbericht für das britische Handelsregister bemüht sich das Unternehmen „weltweit aggressiv um neue Verträge“ und hofft auf eine noch „schnellere globale Expansion“. Als oberstes Geschäftsrisiko gibt die Firma an, dass Regierungen ihre Auslagerungspolitik überdenken könnten.
Danach sieht es im Auswärtigen Amt aber nicht aus. „Die Einschaltung von externen Dienstleistungserbringern hat sich bewährt“, heißt es aus dem Ministerium. „Ohne die Einschaltung externer Dienstleistungserbringer ließe sich die kontinuierlich steigende Zahl von Visumanträgen nicht mehr in angemessener Frist bewältigen.“
Nur „als letztes Mittel“
Der Europäischen Union missfällt dieser Trend. Der Visakodex der Gemeinschaft erlaubt es nur „als letztes Mittel“, mit externen Dienstleistern zusammenzuarbeiten. Und selbst das nur unter einer Bedingung: Der Gang zum privaten Visazentrum muss freiwillig bleiben. Auch die Botschaften selbst sollen weiterhin Anträge annehmen.
Auf dem Papier ist das an den deutschen Botschaften auch der Fall. In der aktuellen Ausschreibung heißt es: „Antragsteller können jederzeit ihre Anträge direkt bei der Visastelle einreichen.“ Geltende Verträge mit den Dienstleistern, die der taz vorliegen, enthalten ähnliche Klauseln. Die Praxis sieht aber oft anders aus.
In Tunesien spuckt das Onlineformular für die Terminbuchung an der Botschaft wochenlang nur eine Fehlermeldung aus: „Es sind zurzeit leider keine Termine verfügbar.“ Die Botschaft in Marokko schreibt auf ihrer Internetseite in roter Schrift: „Schengenvisaanträge müssen im TLS-Contact-Annahmezentrum eingereicht werden.“ Und in London heißt es online schlicht: „Die Deutsche Botschaft hat ihren Visa-Service an den externen Dienstleiter VFS ausgelagert.“
Aus der Doppeltür in der Wilson Street 66 tritt Anan, ein 40-jähriger Inder, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Vor Reisen nach Deutschland kommt er regelmäßig in die Filiale von VFS Global. „Die kassieren zwar eine Zusatzgebühr, aber so viel ich weiß, gibt es keine alternative Stelle für ein deutsches Visum“, sagt er. Dass er auch direkt zur Botschaft gehen könnte, hat er noch nie gehört.
Das Auswärtige Amt kann kein Problem erkennen
Auch er musste heute lange im ersten Stock warten, obwohl er seine zwei kleinen Kinder dabei hatte. „Wir waren für halb eins bestellt und erst jetzt, fast zwei Stunden später, sind wir wieder draußen“, erzählt er genervt. Manchmal gehe es hier schneller, manchmal langsamer. Ein Glücksspiel.
„Die Auslandsvertretungen überprüfen regelmäßig die externen Dienstleistungserbringer und deren Service-Niveau“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. „Die vorliegenden Auswertungen belegen eine hohe Kundenzufriedenheit.“ Lange Wartezeiten gebe es „an den allermeisten Orten“ nicht mehr. Statistiken zu Kundenzufriedenheit und Wartezeiten legt das Ministerium aber nicht vor. Für das Auswärtige Amt bleibt es auch auf Nachfrage dabei: An vielen Orten gibt es zur Auslagerung keine Alternative.
Dabei hat die EU-Kommission ihren Mitgliedsländern schon vor fünf Jahren ein Kommuniqué mit Vorschlägen geschickt, wie sie auch ohne private Dienstleister den Anstieg bei den Visumanträgen bewältigen könnten. Als Beispiel taucht darin Italien auf. Um den Tourismus anzukurbeln und mehr Reisende aus China anzulocken, stockten die Italiener im Jahr 2011 das Personal ihrer Konsulate auf. Schon nach sechs Monaten zeigte sich der Erfolg: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hatte sich die Zahl der erteilten Visa verdoppelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“