Unterkünfte für Geflüchtete in Berlin: „Wir haben es mit Menschen zu tun“
Bei Ausschreibungen für den Betrieb von Flüchtlingsheimen müsste gute Arbeit und Erfahrung vor Ort mehr zählen als bislang, sagt Peter Hermanns.
taz: Herr Hermanns, seit sechs Jahren ist der Internationale Bund (IB) Betreiber des ersten deutschen Containerdorfs in Köpenick. Jetzt endet Ihr Vertrag mit dem Landesflüchtlingsamt (LAF) zum 31. März. Warum?
Peter Hermanns: Wir hatten nie einen Vertrag mit dem LAF. Wir befinden uns gerade in letzten Abstimmungen über einen rückwirkenden Vertrag.
Sie waren sechs Jahre lang fürs LAF tätig ohne Vertrag?
Im Vertragsrecht ist es so: Wenn jemand eine Leistung erbringt und die vergütet wird, wirkt es im Grunde wie ein Vertrag. Jedenfalls musste nach europäischem Vergaberecht die Einrichtung ausgeschrieben werden. Vor Kurzem haben wir erfahren, dass ein anderer Betreiber den Zuschlag erhalten hat.
Begründung?
Wir hatten zwar das beste Konzept eingereicht, aber das wog nicht auf, dass wir preislich nicht mithalten konnten.
Das verwundert insofern, als Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) immer gesagt hat, dass bei ihr Qualität vor Preis gehen soll – im Unterschied zu früher.
Ja. Aber erstens kann ich nicht beurteilen, wie die Qualität des Nachfolgebetreibers ist. Und zweitens nehme die Senatorin hier aus der Schusslinie. Die Umsetzung ist nicht ihr Aufgabenbereich.
Peter Hermanns,
57, ist Sozialpädagoge und seit sechs Jahren Leiter der Gemeinschaftsunterkunft im Köpenicker Allende-Viertel. Das aus Containern errichtete Heim war das erste seiner Art und wurde 2014 mit damals 386 Plätzen eröffnet. Seit einem Brand 2019 gibt es nur noch 160 Plätze.
Wie meinen Sie das?
De facto sind die Vorgaben für die Konzepte so eng gefasst, dass diese am Ende sehr ähnlich aussehen. Das LAF erwartet Aussagen, die man manchmal mit Copy & Paste aus der Leistungs- und Qualitätsbeschreibung einfügen kann. Das ist ein Papier, das ohnehin für jeden Betreiber verpflichtend ist. Man könnte es aus der Konzepterstellung herausnehmen. So aber fehlt in der Konzeption der Platz, auf dem ein Betreiber im Detail schildern kann, was er wie und warum inhaltlich machen will.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Man schreibt im Konzept viel über Hygieneplan, Konfliktmediation, Gewaltschutz – alles wichtige Sachen, aber die stehen in den Qualitätsvorgaben. Und wir haben es im Alltag nicht damit zu tun, permanent Konflikte zu lösen oder gegen Gewalt vorzugehen: Das kommt vor, ist aber nicht unser Hauptthema. Unser Hauptthema ist die Unterstützung derjenigen, die hier bei uns leben. Dabei waren wir sehr erfolgreich in den vergangenen sechs Jahren. Aber wir können es im Konzept nicht ausreichend beschreiben, weil dafür kein Platz ist. Deshalb bekommt der Preis dann doch ein höheres Gewicht. Dass wir das beste Konzept eingereicht haben, liegt an lediglich vier Sätzen.
Nämlich?
Wir haben beschrieben, wie wir Frauen und LSBTIQ*-Menschen auf eine bestimmte Weise unterbringen, damit sie besonders geschützt sind, und wie wir konfliktbelasteten Zimmersituationen begegnen. Das wurde besonders gewürdigt. In allen anderen Punkten waren wir gleich gut.
Aber irgendwer war billiger. Wo kann ein Betreiber denn sparen?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Jeder Betreiber hat zum Beispiel unterschiedliche Vergütungssysteme. Festgelegt ist nur der Mindestlohn. Zum Zweiten kalkuliert man eine bestimmte Auslastung für das Heim. Wenn man großzügig, also in Richtung 100 Prozent kalkuliert, sinkt der Tagessatz pro Platz und damit der Preis. Aber gerade kommen nicht mehr so viele Menschen nach Berlin, die untergebracht werden müssen. Alle Einrichtungen haben deswegen Überkapazitäten, was uns zu der Überlegung führte, mit einer nicht ganz so hohen Auslastung zu kalkulieren. Wir sind immer noch mutig daran gegangen, haben aber auch betriebswirtschaftliche Vorsicht walten lassen. Jedenfalls ist das ein Punkt, der Einfluss auf den Tagessatz hat.
Gibt es noch andere?
Sie können auch an der Reinigung sparen. Es gibt Beispiele dafür, dass statt einer Reinigungsfirma eine Hauswirtschafterin beschäftigt wird, die die Bewohner*innen anleitet, das Haus sauber zu machen. Die machen dann die Gemeinschaftsflächen sauber, Küchen, Toiletten, Duschen, Flure – auch für die anderen Bewohner*innen. Das funktioniert vermutlich nicht, das geht ja schon in der WG selten gut.
Würden Sie sagen, dass sich das Problem des gegenseitigen Unterbietens verschärft hat dadurch, dass europaweit ausgeschrieben wird?
Grundsätzlich ist es ein Vorteil, wenn ein Betreiber Bezug zum Ort hat und die Akteure kennt. Das wäre für mich ein ganz wichtiger Punkt bei einer Ausschreibung. Wenn hier nach sechs Jahren ein neuer Betreiber reinkommt, wird eine ganze Menge zerstört – an Vertrauen, an sozialen Beziehungen.
Weil dann alle Mitarbeiter*innen mit dem Betreiber wechseln?
Genau. Wir haben sehr viele Kooperationspartner im Bezirk, etwa den Verein Türöffner, ein Jobnetzwerk für Geflüchtete, das ich selbst mit gegründet habe. Oder unsere Kooperationen mit dem 1. FC Union. Oder die Degewo, die sehr viele Menschen mit Wohnraum versorgt hat. Das sind drei Beispiele von etwa 50. Das wird alles auf null gesetzt, der Neue muss alles neu aufbauen. Ich fände es angemessen, dass bei Ausschreibungen bestehender Einrichtungen auch die Vergangenheit bewertet wird: Wie hat der Betreiber gearbeitet, wie ist er vernetzt, was sagen die Bewohner*innen? Das Problem ist nur, sagen manche Juristen, dass dies vom europäischen Vergaberecht nicht gedeckt wäre, weil es eine „Diskriminierung“ gegenüber der anderen „Marktteilnehmern“ wäre. Aber das ist absurd!
Wieso?
Weil es die „Diskriminierung anderer Marktteilnehmer“ höher gewichtet als die Aufgabe, die wir wahrzunehmen haben: die Menschen zu unterstützen, ihnen Schutz zu geben, was nur über Vertrauen funktioniert, das mit einem solchen Bruch konterkariert wird.
Die Frage ist ja sowieso, warum solche Betriebe alle paar Jahre neu ausgeschrieben werden müssen.
Das ist im Vergaberecht so geregelt. Aber nichts ist für die Ewigkeit. Bei Vergaben bestehender Einrichtungen brauchen wir andere Regelungen als bei Neuvergaben. Wir haben es mit Menschen zu tun und produzieren keine Güter. Es wäre gut, wenn im Land Berlin eine Diskussion entsteht, welchen Einfluss das Land nehmen kann und was vor Ort geändert werden kann, damit es mehr um die eigentliche Aufgabe von Betreibern geht, nämlich Menschen, die neu nach Deutschland gekommen sind, zu unterstützen, sich in diesem Land ein neues Leben aufzubauen. Ich habe in den letzten Tagen viel mit Kolleg*innen anderer Betreiber gesprochen: Alle kennen diese Probleme, alle machen die gleichen Erfahrungen. Darüber würden wir gerne mit Vertretern des Landes sprechen. Und ich weiß, dass es im LAF dafür offene Ohren gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“