: Unter dem Schutz des Apparats
Polizeigewalt bleibt in Hamburg ungesühnt. Eine Statistik belegt, dass nach Anzeigen keine Anklage wegen Körperverletzung im Amt erhoben worden ist. Kritiker rufen nach Polizeikommission
In Hamburg hat es zwischen 1998 und 2001 unter dem rot-grünen Senat eine dreiköpfige Polizeikommission gegeben. Deren Mitglieder wurden von den drei Rathausparteien entsandt. Die Kommission, die von den Grünen damals gegen den Willen der SPD durchgesetzt worden war, hatte zwar weit reichende Kompetenzen, war jedoch durch die ehrenamtliche Tätigkeit in ihrer Arbeit gehandicapt. 2001 war es die erste Amtshandlung des rechtspopulistischen Innensenators Ronald Schill, die Polizeikommission abzuschaffen. Deren Befürworter halten es für gewiss, dass eine Polizeikommission nur mit Hauptamtlichen effektiv arbeiten kann. Das Modell des „Polizeibeauftragten“ – ähnlich dem eines Datenschutzbeauftragten – geht von einer richtigen Behörde mit hauptamtlichen Fachpersonal als Unterbau aus. KVA
VON KAI VON APPEN
Christiane Schneider staunte nicht schlecht. Obwohl die Innenpolitikerin der Linkspartei schon einiges erlebt hat, verblüfft sie die Statistik über Strafverfahren gegen Hamburger Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt dann doch. Seit 2006 taucht dort immer eine „Null“ auf. Im Klartext: Von den jedes Jahr etwa 400 Strafanzeigen wegen Polizeigewalt ist seit zweieinhalb Jahren keine zur Anklage gekommen. 2005 waren es immerhin noch vier Verfahren. „Das ist ein Indiz, dass signifikant häufig Polizeiübergriffe straffrei bleiben“, beklagt Schneider. „Und dafür, dass wir dringend eine professionelle Polizeikommission brauchen.“
Eine typische Hamburgensie: Am 15. Dezember 2007 demonstrierten Tausende gegen den so genannten „Terrorparagraphen“ 129 a des Strafgesetzbuchs. Als die Polizei einen Kessel bildet, löst sich der Marsch vorzeitig auf. Teilnehmer fahren in die City, um auf dem Weihnachtsmarkt weiter zu demonstrieren. Die Polizei reagiert rigoros, stürmt ohne Rücksicht auf Bummler zwischen Buden und Glühweinständen in die Menge hinein.
Der 70-jährige Publizist und Exil-Iraner Farydon Salak-Gilani sieht zu und hinterfragt bei Polizisten kritisch das Treiben. „Halt’s Maul“, bekommt das Mitglied des angesehenen PEN-Clubs zu hören, dann wird er wegschubst. „Plötzlich wurde Gilani auf das rechte Ohr geschlagen und auf den Boden geworfen“, berichtet sein Anwalt Jürgen Schneider, der das Geschehen mit 40 Fotos beweisen kann. Das Ergebnis: Gilani erhielt einen Strafbefehl wegen Widerstands, das Verfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung wurde eingestellt.
„Das ganz typischer Fall und eine beliebte Methode“, berichtet Rechtsanwalt Martin Lemke, Vorstandsmitglied des Republikanischen Anwaltvereins (RAV). „Der Anzeigeerstatter wird von der Staatsanwaltschaft schlecht gemacht und der Polizist kann sicher sein, dass ihm vom Apparat her nichts passiert.“ Der Betroffene sei oft allein und die Polizisten, die sich gegenseitig deckten, oft zu mehreren. Trotzdem ist es für den Kriminologen Fritz Sack „grotesk“, dass nicht ein Fall der nahezu 1.000 Anzeigen in dem Zeitraum „die Schwelle der polizeilichen Ermittlungen überschritten hat“.
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hamburg, Wolfgang Ehlers, findet diese Entwicklung indes nicht auffällig. „Häufig ist es so, dass der Täter nicht ermittelt werden kann“, erläutert Ehlers. „Selbst wenn herausgefunden werden kann, welche Polizeieinheit tätig war.“ Oder es stelle sich heraus, dass der vermeintlichen Körperverletzung eine Widerstandshandlung vorausgegangen sei. Ehlers weist den Vorwurf parteiischer Ermittlungen zugunsten der Polizisten zurück – zuletzt ist er in dieser Woche von Amnesty International und dem Grundrechte-Komitee aufgestellt worden. Ehlers betont, dass im Zusammenhang mit dem Klima- und Antira-Camp die Staatsanwaltschaft von Amts wegen zwei Verfahren eingeleitet habe.
Der RAV-Vorständler Lemke macht auch „strukturelle Defizite“, verantwortlich dafür, dass Polizisten ungeschoren davon kommen: „Es müssen Polizisten als Kollegenschweine gegen Polizisten ermitteln.“ Er würde es begrüßen, „wenn die Polizei mehr extern kontrolliert wird“.
Auch der Ex-Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) ist für externe Aufsicht. „Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es richtig ist, die Polizei auf diese Weise zu kontrollieren“, sagt Wrocklage. Er geht sogar noch weiter: Wrocklage, der im Vorstand der Humanistischen Union und Mitglied in der Fachkommission Polizei bei Amnesty International ist, fordert einen „Polizeibeauftragten“, eine „hauptamtliche Person mit einem hochgradig qualifizierten hauptamtlichen Unterbau“.