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Unser potemkinsches Dorf

■ Linksradikale Beatmusik oder altmodische Standpauke? Die Goldenen Zitronen mit ihrer neuen Platte Economy Class

Seit ein paar Jahren sind die Standpunkte verteilt. Die einen verstehen die Platten der Goldenen Zitronen als Möglichkeit, eine linksradikale, ideenreiche, korrekt gepflegte Beatmusik zu hören. Nach Ansicht ihrer Fans haben die Goldenen Zitronen eine Art Agit ohne Prop, aber mit Pop vorgeführt.

Verschiedene musikalische Stile, ästhetische Versiertheit und die Fähigkeit, spielerisch Zorn und ein unversöhnliches Lächeln im Knopfloch zu verbinden, hatte man einer Band mit so dezidiertem inhaltlichen Anspruch nicht zugetraut. Eher erwartete man zu kritischen Ausführungen zur Lage überschaubaren Punk-Rock oder orthodoxe Akustikgitarren. Kurz: Musik, die man von Menschen in der Zeit vor einem zwanzigsten Parteitag der KPdSU erwartet hätte.

Nach Ansicht ihrer Gegner vertritt die Gruppe aber vor allem einen altmodischen Standpunkt, und der Sänger Schorsch Kamerun singt schon seit einiger Zeit zu plakativ (“Aua, es tut weh“). Die Goldenen Zitronen arbeiten – obwohl sie es auch nicht besser wissen – zwei Hamburger Krankheiten zu, nämlich der Arroganz und der Hierarchiebildung zwischen dem Eingang und dem Podest des Golden Pudel Klub. Beständigstes Argument der Kritiker: Die Zitronen haben es nicht gemerkt, aber die Welt ist nicht so, wie sie es ihr vorwerfen.

Auch ein Blick auf die Songtitel der neuen Platte Economy Class, z.B. „Fin de Millénaire“ oder „There's no business like business“ könnte das Ressentiment stärken, daß der Verbohrtheit, sich einen oft und seit langem widerlegten Standpunkt zu leisten, auch noch Ausdauer beschieden ist. Tatsächlich aber haben die Goldenen Zitronen eine luftige, zerfledderte Platte aufgenommen. Es zirpt, es knirscht, es kracht und noist schön und durchgängig.

Dabei ist nichts Großspuriges in der Haltung der Gruppe, die dieses Mal im Hier, also ganz bei sich und im Jetzt bleibt. „Meine kleine Welt“ heißt das erste Stück, „Gleiches Ambiente“ das zweite und beide handeln nicht davon, wie das Problem aussieht, sondern wo es mittlerweile angekommen ist. Eben auch in „Unser(em) potemkinsche(n) Dorf“, in welchem sich jemand „links“ nennen könnte, weil er in der Lage wäre, dieses L-Wort in den Mund zu nehmen.

Die Goldenen Zitronen – um es mit einem Ausdruck aus der Hochkultur zu sagen – „faszinieren“, weil sie die schöne, von Künstlerzirkeln bis Hippie-Cliquen angetestete Idee umsetzen, daß ein paar Leute als Sozialverband mit politischem Sachverstand ästhetisch/aktivistisch vorlegen: einen Treff, zwei Filme, viele Platten, Veranstaltungen, Events. Die Goldenen Zitronen sind aber richtig toll, weil sie erkennen, welche Gefahr eine eigene Gesellschaft mit einer eigenen Lizenz zum Spektakel mit sich bringt. Economy Class handelt davon. Und draußen vor der Tür des Konzerns bricht der Rock zusammen. Kristof Schreuf

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