Unschuld und Sühne

■ Tragik eines frühreifen Erfolgs: Warum die schwüle "Mini Playback Show" ausgerechnet in dem Moment abgesetzt wurde, als die Sängerin Blümchen ihr den Hautgout der Pädophilie nahm

Also da sind so Kinder. Die haben ein Mikrofon und sind ganz schön geschminkt und verkleidet wie die Wittnee Juhsten oder Tina Törner, und zu Hause holt dann der Onkel immer seinen Uuuups! aus der Hose und ...

Wer „Mini Playback“ denkt, hat meist auch eine schmutzige Phantasie. Wohl keine andere Sendung, weder Ulrich Meyers Enthüllungs- „Akten“ noch Guido Knopps „Hitler“-Tagebücher, hat einen derart dauerhaften Hautgout. Und wenn das RTL-Erfolgsformat heute, nach acht Jahren, ein letztes Mal seine kleinen Duracell-betriebenen Lieblinge mit viel Lippenstift über die Showbühne wackeln läßt, ist das gewiß kein Grund zur Trauer – wenngleich sich für das Aus kein schlechterer Zeitpunkt hätte finden lassen.

Schließlich hatte bereits ein halbes Jahr nach dem Start die SPD- Bundestagsabgeordnete Ulla Schmidt dem schleichenden Unbehagen, das einen ob der oftmals recht grotesken Darbietungen befallen mochte, eine Richtung gegeben: Die „Mini Playback Show“, so Schmidt im Juli 1991, berühre „den Grenzbereich sexueller Ausbeutung“ und könne Zuschauer dazu animieren, „in Kindern Sexualobjekte zu sehen“. Seither hatte Valensinas Onkel Dittmeyer in Marijke Amado, „Mini Playback“- Moderatorin der ersten Stunde und Kupplerin zwischen den Welten und Wünschen dies- und jenseits der Mattscheibe, eine Gefährtin gefunden. Und wenn es erst kürzlich noch die „Polizeiruf“- Kommissarin Gaby Dohm ins Mini-Playback-Milieu verschlug, um außer naiv-ehrgeizigen Muttis vor allem die Kinderpornographie zu geißeln, dann schien die Sache noch lange nicht ausgestanden.

Nun ist sie es doch – selbst wenn unwahrscheinlich ist, daß es sich regelmäßig drei Millionen potentielle Kinderschänder vorm TV-Gerät bequem gemacht hatten.

Dennoch scheint der Kindesmißbrauchs-Hype der letzten Jahre nicht spurlos an der schmierigen Show vorbeigeglitscht zu sein. Denn Anfang September stand plötzlich die Techno-Schlagersängerin Blümchen als frischgebackene Moderatorin im umgebauten „Mini Playback“-Studio. Auf den ersten Blick schien diese Andrea Jürgens der 90er eine gute Wahl – playbackerfahren und (mit einschlägigen Hits wie „Gib mir noch Zeit!“) sogar bedenklich pädophiliekompatibel. Doch auf den zweiten Blick entpuppte sich die Blümchen-Darstellerin Jasmin Wagner als erstaunlich kompetent. Wo jahrelang eine Marijke, mit gekrümmtem Rücken und Blick in die Kamera, das Mikro unter niedliche Stupsnasen hielt, um den lieben Kleinen irgendwelche süßen Unbeholfenheiten zu entlocken, saß nun Jasmin auf der Showtreppe und plauderte Aug' in Aug' und vergleichsweise unverkrampft mit ihren jungen Gästen.

Ihr gelang es binnen kurzem, aus der Sendung mit Kindern eine für Kinder zu machen. Doch dieses Verdienst wurde ihr gleichzeitig zum Verhängnis. Denn Wagner, deren große Fangemeinde leider schon im Bettchen liegen muß, wenn das Prime-time-Playback auf Sendung geht, fand vor dem Stammpublikum keine Gnade: Die Quote sank unter die Drei- Millionen-Grenze. Das war's.

Öd ist nun die Fernsehlandschaft für all jene geworden, die ihre Unschuldsphantasien per TV befriedigen und daher wohl auf den allzeit unverdächtigten „Kinderquatsch mit Michael“ (immer samstags gegen 15 Uhr) zurückgreifen müssen. Auch da sind so Kinder ... Christoph Schultheis