Unregelmäßigkeiten bei Wahl: Afghanistan trotzt der Gewalt
Angst, Unregelmäßigkeiten und eine geringe Beteiligung bestimmen den Wahltag in Afghanistan. Manche Mitbewerber von Präsident Karsai fordern einen Wahlstopp.
Pünktlich um 8.15 Uhr verlässt Ashraf Ghani sein Haus im Kabuler Stadtteil Darulamam, steigt in einen schwarzen Landcruiser und braust in Richtung "Habibia High School" davon - sein Wahllokal. Dicht gefolgt von mehreren Pick-ups, auf deren Ladeflächen gut gelaunt junge, männliche Anhänger und bewaffnete Sicherheitskräfte mit dem Gewehr am Anschlag hocken.
Als der Herausforderer des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai vor laufenden Kameras seinen Stimmzettel in die Wahlbox wirft, liefert sich die Polizei am anderen Ende Kabuls, im östlichen Stadtteil Karte Nau, ein Feuergefecht mit Aufständischen. Nach Angaben der Polizei haben sich zwei Selbstmordattentäter in einem Haus verschanzt. Sie sterben bei der Auseinandersetzung. Die Taliban übernehmen die Verantwortung für den Angriff und bezeichnen ihn als Teil ihrer Strategie, die Wahlen zu stören.
"Bei uns gibt es keine Probleme mit der Sicherheit", sagt Mirwais Zamidyar (34) im Dorf Qala-e-Moratbeq nördlich von Kabul. Das Wahllokal befindet sich in der örtlichen Schule, der Rektor Mohammed Isar ist Wahlleiter und empfängt jeden Wähler gut gelaunt per Handschlag. "Alles läuft reibungslos", freut er sich, auch wenn sich einer seiner Mitarbeiter beschwert, die Zange zur Entwertung der Wahlkarten funktioniere nicht.
Auf dem sonst kritischen Fernsehsender "Ariana TV" lief den ganzen Tag ein Band mit der Aufschrift: "Wahlen verlaufen reibungslos im ganzen Land". In einem Sicherheitsbericht der UN hieß es, es gebe "viele Berichte" über gewalttätige Vorfälle wie "Raketenangriffe", "bewaffnete Zusammenstöße in der Nähe von Wahllokalen" - aber nichts davon sei "unerwartet".
Trotz der entspannten Stimmung ist die Wahlbeteiligung eher gering. "Die Leute haben Angst", argwöhnt Mirwais Zamidyar. "Wahrscheinlich sind die Frauen noch beim Kochen und kommen am Nachmittag", sagt Isar. In Kandahar, der größten Stadt im Süden, war nach amtlichen Angaben die Wahlbeteiligung um etwa 40 Prozent geringer als bei Präsidentschaftswahl 2004. Nach ersten, allgemeinen Eindrücken war besonders unter Frauen die Wahlbeteiligung gering, sodass am Nachmittag sogar die Frau des Präsidenten Hamid Karsai, die sich sonst nie in die Politik einmischt, die weibliche Wählerschaft dazu aufrief, an die Urnen zu gehen.
"Die Leute haben Angst, weil sie nicht wissen, wo die Gewalt zuschlägt und weil die Regierung es versäumt hat, über die Angriffe zu informieren", kritisiert Samina Ahmed von der "International Crisis Group". In der Tat hatte die Regierung den Medien verboten, über gewalttätige Vorfälle zu berichten. Dennoch dringen andere Nachrichten nach draußen. In der nördlichen Provinz Baghlan, für die die Bundeswehr zuständig ist, kam es zu heftigen Gefechten zwischen der Polizei und den Taliban. In Kundus, wo ebenfalls die Bundeswehr stationiert ist, traf eine Rakete ein Wahllokal: zahlreiche Menschen wurden verletzt. Auch im Süden des Landes kam es in mehreren Provinzen zu Raketenangriffen, bei denen Menschen starben.
Im Laufe des Tages häufen sich Beschwerden über Betrugsversuche. So klagt der Kandidat Ramazan Bashardost, die nicht-abwaschbare Tinte, mit der der Finger jedes Wählers gekennzeichnet wird, sei mit Bleichmittel leicht zu entfernen. Eine Frau im Kabuler Stadtteil Taimani berichtet, sie habe auf diese Weise sechsmal ihre Stimme für Hamid Karsai abgegeben. Bashardost fordert, die Wahlen umgehend zu stoppen: "Was hier passiert, ist nicht transparent, nicht fair, nicht frei", sagt er.
Karsais wichtigster Herausforderer Abdullah Abdullah beklagte, in der Provinz Ghazni seien Wahlurnen bereits in der Nacht vor der Wahl mit 80.000 Stimmen zugunsten des Amtsinhabers gefüllt worden. Trotz der anschwellenden Klagen beharrte der Sprecher der Wahlkommission Azizullah Ludin darauf, dass die Wahlbeteiligung im Land "sehr hoch" sei. Die beanstandete Tinte sei "definitiv nicht" abwaschbar.
Ex-Finanzminister Ashraf Ghani rief deshalb dazu auf, "das Thema Wahlbetrug auf friedlichem Wege" zu lösen und nicht auf der Straße. "Wir sind entschlossen, eine Nach-Wahl-Krise wie in Kenia und Simbabwe zu vermeiden", sagte Ghani.
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