Unperfekte Models: Die Schönheit des Makels
Bei Models geht es um Ideale, auf den zweiten Blick zählen aber auch die Kanten. Zwei von ihnen erzählen von Karrieren mit Segelohren und großer Nase.
Dass ich merkwürdig aussehe, weiß ich. Ich war auch immer schüchtern, eher ein Nerd. Ich bin auf eine sehr gute Schule gegangen, hatte exzellente Noten. Gerade habe ich mein Wirtschaftsstudium an der besten Universität Russlands mit Höchstpunktzahl abgeschlossen.
Der Weg dahin, auch mit meinem Aussehen zufrieden und selbstbewusst zu sein, war hart. Als Kind war ich total unsicher und habe natürlich gedacht, ich sei überhaupt nicht hübsch. Kinder hänseln sich ja wegen allem Möglichen: Brillen, roten Haaren. Oder eben solchen abstehenden Ohren wie meinen.
Klar habe ich auch mal darüber nachgedacht, Model zu werden, allerdings war das etwa so ein Wunsch wie mein anderer, mal Matrosin werden zu wollen. Aber als die Zeit verging, habe ich festgestellt, dass ich mich ganz wohlfühle, ich selbst zu sein. Ich habe dann auch immer auf eine Art gemocht, wie ich aussehe. Zwar konnten Leute in meinem Alter nichts mit meinem Aussehen anfangen, aber ich bekam Komplimente von Erwachsenen.
Vor anderthalb Jahren schrieb mich eine Fotografin an – auf einem russischen sozialen Netzwerk. Sie hat meine Fotos gesehen, ganz einfache Bilder mit meinen Freunden, und gefragt, ob sie mich fotografieren darf. Ich war neugierig. Danach bekam ich andere Angebote von Fotografen. Vor drei Jahren hatte mir auch schon ein amerikanischer Modelscout seine Karte gegeben und mir gesagt, ich solle ihn unbedingt anrufen, aber ich habe zu der Zeit sehr intensiv studiert und gedacht, ich habe dafür gerade keine Zeit. Da habe ich nicht zurückgerufen.
Ich bin immer auf der Suche nach Neuem und wusste früh, dass ich viele Jobs ausprobieren werde. Ich habe als Journalistin bei ökologisch orientierten Medien gearbeitet, als Floristin, als Reiseleiterin, ich war an der Ballettschule. Auch Modeln sehe ich als Job. Aber es ist auch ein mächtiger Weg der Selbsterkenntnis.
Die Messe: Vom 3. bis 8. Juli findet die Fashion Week in Berlin statt, in Paris laufen die Models noch bis 6. Juli über die Laufstege, in New York Anfang September und in London Mitte September.
Die Maße: Laut Attraktivitätsforschung gelten makellose Haut und Symmetrie – egal wie unterschiedliche Kulturkreise Schönheit definieren – als schön und als Indiz für Gesundheit. Den Goldenen Schnitt gibt es wohl nicht nur in Gemälden, sondern auch in Gesichtern: Einen vertikalen Abstand zwischen Augen und Mund von 36 Prozent der Gesichtslänge empfinden wir als perfekt. Und einen horizontalen Abstand zwischen den Augen von 46 Prozent der Gesichtsbreite. Welche Figur uns gefällt, hängt vom Nahrungsangebot ab: Ist die Versorgungslage prekär, wird Fett zum Statussymbol. Ist sie vom Überfluss geprägt, wird Schlankheit zum Ideal.
Selbstverständlich wollen manchmal Fotografen mit mir diesen elfenhaften Stil bedienen. Ich mag das nicht sehr, weil ich denke, ich bin größer als das. Aber es gibt auch andere, die meine Ohren nicht besonders beachten. Natürlich starren die Leute in der Bahn sie an, das sehe ich schon, und höre wie Leute flüstern: „Schau dir mal die an!“
Ich liebe intelligente Menschen, Leute, die sich ernsthaft für etwas interessieren, und ich glaube wirklich, dass man das Gesichtern ansehen kann. Viele Leute in der Modewelt haben faszinierende Biografien – sie haben etwas zu sagen und nicht nur etwas zu zeigen. Aber ich sehe auch 13-, 14-jährige Mädchen, die völlig perplex sind angesichts der Dinge, die um sie herum passieren. Und ich glaube, sie sind nicht wirklich in sich gefestigt genug, in diese Welt und ihre Dynamiken hineingezogen zu werden. Da ist zwar Schönheit, aber noch zu wenig Identität.
Meine Mutter ist eine sehr schöne Frau. Ich erinnere mich gut, dass ihr, als sie etwa dreißig war, permanent hinterhergeschaut wurde und Leute über sie sprachen, weil sie wirklich so schön ist. Sie hat mir immer gesagt, dass ich auch schön bin. Und irgendwie wollte ich ihr wohl mit aller Kraft glauben.
20, steht in Russland bei der Agentur Tann Model Management unter Vertrag und in Deutschland bei Izaio Models. In den nächsten Monaten kommt sie nach Deutschland, Japan, England und Italien.
Ich habe eine ziemlich große Nase. Aber wenn mich jemand bucht, dann gehe ich davon aus, dass das Teil der Frau ist, die sie wollen. Sonst würden sie jemand anderen aussuchen.
Ich war immer groß und dünn, ein wenig schlaksig. Weil ich nicht größer als meine Freunde sein wollte, habe ich mich quasi zu ihnen heruntergebeugt. Das hat meinen Rücken rund gemacht und etwas buckelig. Es wurden natürlich Witze darüber gemacht, dass ich so groß war, und wenn ich für eine Party High Heels angezogen habe, war das wohl noch lustiger.
Ich war immer irgendwo dazwischen. Ich habe nie gedacht, dass ich hässlich, aber auch nicht, dass ich eine Schönheit bin. Einfach eine normale Person mit Komplexen, wie sie viele Mädchen wahrscheinlich haben.
Als ich 21 war, wurde ich beim Einkaufen von einem Modelscout angesprochen. Sie bot mir an, nach Paris zu gehen. Ich war natürlich baff. Zu der Zeit habe ich Informatik studiert, als einzige Frau in meinem Universitätskurs. Aber es waren gerade Semesterferien und ich hatte keine Urlaubspläne. Also habe ich gedacht, es wäre schön, die Ferien in Paris zu verbringen. Am Ende bin ich drei Jahre dort geblieben.
Am Anfang war ich verloren. Ich hatte großes Heimweh und wenig Freunde, habe das Leben vermisst, das ich vorher hatte. Doch nach einer Weile gewöhnt man sich daran – und ich hatte schon immer davon geträumt zu reisen, neue Orte zu sehen.
Diesen und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 30. Juni/1. Juli 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Es kann schon sein, dass ich durch meine Nase ein paar Jobs nicht bekommen habe. Doch es hat mir nie jemand direkt gesagt. Es hat mir auch nie jemand vorgeschlagen, etwas an mir zu verändern, eine Operation zu machen, wie das einige Mädchen tun. An so was habe ich höchstens als Teenager gedacht.
Das Ding ist: Jeder mag anderes. Ich finde zum Beispiel Zahnlücken süß. Vor allem denke ich, dass man in den Augen von jemandem sehen kann, wie er mit Menschen umgeht, seine Umwelt behandelt. Das hat eine Wirkung. So funktioniert Schönheit.
Bei Shows ist es manchmal schwierig, da wollen Designer oft eine bestimmte Art Mädchen, sie dürfen nicht zu unterschiedlich sein. Aber in anderen Situationen ist es gerade gut, charakteristische Eigenschaften zu haben. Wie meine Nase oder auch die Sommersprossen. Ich glaube, mein Gesicht ist sehr stark, und dadurch erinnern Menschen sich an mich. Das hilft mir.
Marta Waydel, 31, ist in Polen bei der Agentur DVision und in England bei Nevs unter Vertrag. Sie steht viel für Magazinstrecken vor der Kamera.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann