: Unnachgiebiges Rezitieren
Fakten im Raum stehen lassen: Max Hopp gastiert mit dem Heimrad-Bäcker-Projekt Epitaph an den Kammerspielen ■ Von Liv Heidbüchel
Jedes Stück kann auf die Bühne. Nur sind manche Texte bekanntlich widerspenstiger als andere. Als Ronald Steckel, Autor, Komponist und Regisseur in Berlin, Anfang der 90er beschloss, die Textmontage nachschrift des Österreichers Heimrad Bäcker in eine dramatisierte Fassung zu bringen, stellte er sich „wirklich alle Fragen, die man sich stellt, wenn man etwas auf die Bühne bringt“.
Denn Bäckers im Jahr 1986 erschienener Text verweigert sich in vielerlei Hinsicht: Er ist eine zugleich nüchterne und poetisch stark formalisierte Zusammenschau von dokumentierten Tätigkeitsberichten, Vernehmungsprotokollen, letzten Briefen KZ-Inhaftierter sowie etlicher weiterer Aufzeichungen aus den 30er und 40er Jahren. Bäcker nimmt in nachschrift die Sprache beim Wort, zeichnet auf und gibt wieder, was immer unfassbar bleiben wird: „Wir begreifen es nicht, doch wir können es beschreiben – mit den Begriffen der Täter“ (Klaus Amman).
Steckel beschreibt den österreichischen Autoren und Verleger der edition neuer Texte als „Nestor der konkreten Poesie“, einer Poesie, die Bäcker selbst „dokumentarische Dichtung“ und „Literatur des Zitats“ nennt. Die Seiten von nachschrift und nachschrift II, die 1997 herauskam, sind meist spärlich bedruckt. Manchmal findet sich lediglich ein Vierzeiler: „extraktion/ 3000 m / rauch pro / stunde“ – zitiert aus den Angaben der Entlüftungsanlagen der Krematorien in Auschwitz. Dies kann man dem minutiös geführten Anhang entnehmen, der keine Quelle verschweigt. Eine andere Seite gibt nüchtern Auskunft: „die kartei der toten war ungleich größer als die der lebenden.“ Wie dramatisiert man solch eine Vorlage, ohne mit der Aufführung in eine dramatische „deutsche Betroffenheitsveranstaltung“ abzugleiten?
Der Regisseur klingt keineswegs zynisch oder überheblich, wenn er diesen Begriff benutzt. Die Schwierigkeit bestehe jedoch da-rin, dass sich das Publikum immer schlecht und schuldig fühle. Seiner Auffassung nach verlangen die „ungeheuren Erfahrungen“ einen vollkokmmen anderen Umgang: „Der Schrecken muss erfahrbar werden.“ Etwas, das Bäckers Werke ermöglichen.
Bereits vor acht Jahren brachte Steckel zusammen mit zehn SchauspielerInnen der Hochschule die Uraufführung unter dem Titel Epitaph am Hebbel-Theater Berlin heraus. Der Titel geht auf eine Fotoausstellung Heimrad Bäckers mit abstrakten Aufnahmen aus Konzentrationslagern zurück. Und so wie diese versteht auch Steckel seine Arbeit an nachschrift als Grabschrift und Gedenktafel.
An den Hamburger Kammerspielen präsentiert Steckel nun an nur zwei Tagen eine ganz besondere Version von Epitaph für den Schauspieler Max Hopp. Unter Frank Baumbauer jahrelang festes Ensemblemitglied am Deutschen Schauspielhaus, knüpfte er schon damals Kontakte zu Ulrich Waller und überzeugte ihn von Heimrad Bäckers Werk. Über die Herausforderung, die in Bäckers Texten liegt, sagt Hopp: „Die sind so gut, dass jeder Schauspieler an ihnen scheitern muss.“
Darum wissend, entschied sich Steckel wie schon bei der Uraufführung auch bei der Neufassung dafür, jede Interpretation des Rezitierten zu unterbinden. Als Vorbild diente immer wieder der Autor selbst, dessen Vortragsart „mit harter, asthmatischer Stimme“ an „spürbarer Unnachgiebigkeit“ für Steckel kaum zu übertreffen ist. In enger Zusammenarbeit haben Steckel und Hopp, beide mit Bäcker bekannt, über „jedem Komma, jedem Wort gegrübelt“ – und sahen sich immer aufs Neue darin bestätigt, dass sich ein „Auf-die-Texte-Legen“ von vorenherein verbietet.
Wenn Max Hopp nun in den Kammerspielen fast eineinhalb Stunden lang die erschütternden, nackten Wahrheiten so emotionslos wie möglich vorträgt, kommt Steckel seiner persönlichen Metapher von Bäckers jahrelanger Beschäftigung mit dem Wahnsinn sehr nah: „Bäcker will Sühne tun für seine eigene Verfehlung als Parteimitglied. Er arbeitet in einem Bergwerk tief unter der Erde, in einem Bergwerk der Fins-ternis.“
Der Regisseur betrachtet die Auseinandersetzung mit den beiden nachschrift-Bänden als Teil des politischen Strangs seiner Deutschlandarbeit – ein Teil, der angesichts der Geschehnisse seit dem 11. September nochmals eine ganz neue Gewichtung erfährt.
Sonntag, 14. Oktober, 11 Uhr + Dienstag, 16. Oktober, 20 Uhr, Hamburger Kammerspiele
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